Rezension: Jeder stirbt für sich allein von Hans Fallada


Vor etwa zwei Jahren las ich die Biografie von Hans Fallada „Mehr Leben als eins“ von Jenny Williams. Auch ein sehr gutes, beeindruckendes Buch. Es war unter anderem deswegen so interessant, weil es kurze Buchbesprechungen aller Romane von Hans Fallada enthält und so machte es mich neugierig auf „Jeder stirbt für sich allein“, das vor einigen Jahren vor allem in den USA eine Renaissance erlebt hatte.

„Jeder stirbt für sich allein“ von Hans Fallada
Aufbau-Verlag
704 Seiten
12,99 € (Taschenbuch)

(Ich bin ehrlich: Ich selbst besitze es nicht, sondern habe es mir damals von meinen Eltern als Hardcover ausgeliehen.)

Das Buch erzählt die wahre Geschichte des Ehepaares Otto und Anna Quangel (eigentlich Hampel), das 1940 beginnt Postkarten mit Antinazi-Parolen in Berlin zu verteilen, um damit Widerstand gegen das Regime zu üben, in der Hoffnung, dass es anderen die Augen öffnet und es den Krieg beendet.
Doch das Buch besteht aus vielen weiteren kleinen Geschichten und ebenso vielen Figuren und Charakteren. Damit zeichnet es ein umfassendes Bild des alltäglichen Lebens zur damaligen Zeit. Ob Trudel Hergesell, die Verlobte des im Krieg gefallenen Quangel Sohnes, die in einer kommunistischen Widerstandszelle aktiv ist, diesen Widerstand aber aufgibt, als es um ihr Leben, das ihres Mannes und ungeborenen Kindes geht. Oder der Kommissar Escherich von der Gestapo, der auf der Suche nach dem Postkartenverteiler die Methoden der Nazis am eigenen Leib zu spüren bekommt, weil er anderen Mitgliedern der Gestapo zu überheblich erscheint.
Es gibt noch etliche Figuren mehr: Nazitreue, stille Mitläufer, Widerständler, kleine Kriminelle, Intellektuelle, aber vor allem ganz normale Menschen. Der Terror, die Willkür und die ständige Angst, die damals zum Alltag gehörten, werden mit Händen greifbar. Es macht einen ehrfürchtig und begreiflich, wie schwierig es war, Widerstand zu leisten und ist gleichzeitig eine Ehrung für alle, die irgendwie und wenn auch nur im Kleinen Widerstand geleistet haben.
Das Buch fesselt einen mit seinen vielen Schicksalen und Geschichten, wird dabei jedoch niemals unübersichtlich. Es ist keine schwere Kost, trotz des ernstes Themas, es ist ebenso wie das Leben in jeder schweren Stunde immer noch gelegentlich amüsant, spannend und liebenswert. Es lässt einen nicht wieder los, wenn es auch manchmal schwierig war, wieder zum Buch zu greifen, weil es einen mit so lebendigen Worten und Bildern in diese Zeit bringt, in der keiner von uns hätte leben wollen.

Es ist für mich ebenso wie „Die Unsichtbare Brücke“ von Julie Orringer eine Pflichtliteratur. Ich habe sehr viel über die NS-Zeit gelesen, gesehen, gesprochen, nachgedacht, debatiert Doch nichts hat mir so wie dieses Buch vor Augen geführt, was diese dunkelste Stunde der Geschichte wirklich für den Einzelnen bedeutete. Deswegen gibt es von mir voller Ehrfurcht vor diesem Werk fünf von fünf Ratten und einen Platz auf der Liste meiner Lieblingswerke.

6 Comments

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    • 4
      Susi.Shelfmaster

      Interessant, was es alles so gibt! Wenn man nur die Zeit und die Ressourcen dafür hätte …. Aber danke für den Tip! Ich habe gleich die Seite rauf und runter durchforstet. Da werd ich sicher immer mal rauf schauen, wenn wieder der nächste Ausflug ansteht.

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