Rezension: Der blinde Mörder von Margaret Atwood


Seitdem ich die MaddAddam Trilogie verschlungen habe, bin ich von Margaret Atwood infiziert. Ich kann die Faszination gar nicht beschreiben, die ihre Erzählweise und ihre Themen auf mich ausüben. Bis auf die lyrischen Werke (an Lyrik traue ich mich nicht so richtig ran) sind so gut wie all ihre Bücher auf meiner Leseliste gelandet. Begonnen habe ich nun mit „Der blinde Mörder“. Ich habe anderes gefunden als erwartet, bin aber mehr denn je begeistert von dieser großartigen Erzählerin!

der_blinde_mörder„Der blinde Mörder“ von Margaret Atwood
Berlin Verlag
704 Seiten
14,99 € (Taschenbuch)

Wohlbehütet wachsen die Schwestern Iris und Laura als Töchter eines wohlhabenden Knopffabrikanten im Norden Kanadas auf. Doch wo einst Privatlehrer und feine Gesellschaften ihr Leben bestimmen, kommt die Familie durch die große Depression mehr und mehr in finanzielle Bedrängnis. Um das Auskommen der Familie zu sichern, wird Iris an einen reichen Fabrikanten verheiratet und krankt ihr Leben lang an dieser Entscheidung. Eigentlich sind nämlich beide Schwestern dem Charme und den Geschichten des Gewerkschaftsagitators Alex verfallen.

Die Handlung von „Der blinde Mörder“ lässt sich unheimlich schwer beschreiben. Das liegt daran, dass Margaret Atwood in diesem Roman eine Vielzahl von Erzählsträngen und Ebenen verwebt und so eine unglaubliche thematische Tiefe schafft.
In der ich-Perspektive berichtet Laura, inzwischen hochbetagt, von ihrem Leben. Ihre Erzählungen führen uns dann immer elegant in eine neue Rückblende auf ihr Leben. So wechseln wir zwischen der Kindheit und dem Alter von Laura, lernen ihre Schwester und auch Alex Thomas kennen. Später bekommen wir zusätzlich noch die Liebesaffäre von einer jungen (unbenannten) Frau und Alex geschildert. Diese Treffen sind häufig die Einleitungen zur „Geschichte in der Geschichte“, denn Alex erzählt seiner Geliebten die Geschichte vom titelgebenden blinden Mörder. Um zeitliche Lücken in all diesen Erzählsträngen zu schließen oder einen anderen Blick auf die Protagonisten zu werfen, gibt es zusätzlich verschiedenste Zeitungsartikel zur Kommentierung des Geschehens.
Diese wilde Mischung hat mich ziemlich begeistert. Ich muss aber auch zugeben, dass sie das Lesen dieses Romans teilweise recht anstrengend macht. Denn obwohl alles schon komplex und verzweigt beginnt, steigert sich dies im Verlauf der Handlung noch immer weiter. Große Pausen im Leseverlauf sollte man da besser nicht machen.
An sich sind aber alle Teile der Erzählung so stark, dass ich kaum entscheiden konnte, welche Zeitebene /welcher Erzählstrang mir am Besten gefällt.
Wieder besonders sind außerdem die Protagonisten (und Antagonisten) in Margaret Atwoods Geschichte. Die Charaktere sind fast schon Archetypen verschiedener sozialer Schichten oder verschiedener Weltsichten innerhalb der Handlung. So sympathisch mir dabei die betagte Iris war, so anstrengend und abstoßend wurde ihr erzwungener Ehemann beschrieben. Iris verkörpert ganz Liberalismus und Freiheitsdrang, ihr Ehemann die alten Werte und  patriarchalischen Vorstellungen. Wirklich toll.
In dieser Geschichte gibt es außerdem kaum Nebencharaktere. Weite Strecken der Handlung beschränken sich rein auf die wichtigsten Protagonisten. Und obwohl immer wieder einzelne Nebenfiguren die Handlung streifen, sind sie völlig nebensächlich und mehr Mittel zum Zweck.

Insgesamt habe ich mir unter “Der blinde Mörder” eine etwas mysteriösere, düsterere Geschichte vorgestellt. Das Buch ist aber mehr ein Gesellschaftsroman und per se wesentlich ruhiger in der Handlung. Dadurch kann ich „Der blinde Mörder“ nicht direkt mit der MaddAddam Trilogie vergleichen. Beide Bücher sind dafür auch thematisch und strukturell zu unterschiedlich.

Die spannende Mischung der verschiedenen Erzählebenen dieses Buches hat mich wirklich überzeugt, manchmal wurde es dadurch aber auch ein bisschen anstrengend den Überblick zu behalten. Unterm Strich sind das für mich 4 von 5 Leseratten.

Das Buch in einem Tweet: Nochmal Margaret Atwood und doch ganz anders. Klar ist: diese Autorin ist eine ganz große Erzählerin ganz großer, ganz echter Geschichten.

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