Rezension: California von Edan Lepucki


Ich hege eine Leidenschaft für Dystopien. Kluge, wahnsinnig absurde, spannende oder kontroverse Zukunftsentwürfe können mich immer wieder aufs Neue begeistern. Die Überlegungen „was wäre wenn“ und die dabei zentralen moralischen Fragen beschäftigen mich häufig noch weit nach der Lektüre. Mit „Oryx und Crake“ habe ich einen echten Favoriten gefunden, vor allem die realitätsnahen Folgerungen aus aktuellen Entwicklungen haben mich damals überzeugt. Mit „California“ habe ich nun eine Dystopie gelesen, die noch ein Stück mehr Realität mitbringt und sich fast gruselig echt anfühlt. Ein wenig fehlt noch, um „California“ so ganz perfekt zu machen, aber im Teenie-Dystopien-Einerlei ist dieses Buch eine echte Ausnahme!

California„California“ von Edan Lepucki
Blumenbar Verlag (Aufbau Verlag)
416 Seiten
20,00 € (Hardcover)

Eine Reihe von Naturkatastrophen haben die USA an den Rand des Abgrunds geführt. Schneestürme und Erdbeben, Überflutungen und Stürme haben sich derart gesteigert, dass die Infrastruktur des Landes nahezu zerstört ist. Die sozialen Strukturen befinden sich in der Auflösung, denn da alle Güter derart knapp sind, ist die Versorgung nur noch für eine kleine Oberschicht gesichert. Die restliche Bevölkerung verliert nach und nach den Zugang zu Internet, Strom und schließlich Wasser. Cal und Frida, ein frisch verheiratetes junges Ehepaar, flieht aus L.A. um in der Wildnis zu überleben. Lange Zeit schlagen sie sich als Einsiedler durch, bis sie schließlich auf weitere Überlebende treffen. Doch auch die neue Gemeinschaft birgt Konflikte und Probleme.

Das es schlicht die verheerenden und gehäuften Naturkatastrophen sind, die in „California“ zum Zusammenbruch der Gesellschaft führen, hat auf mich sehr authentisch gewirkt und sofort begeistert. Leider fehlen die genauen Zusammenhänge der Ereignisse. Ich hätte gern näher erfahren, wie sich die Situation der Menschen verschärfte. Zwar berichten Cal und Frida von den verschiedenen Etappen in der Auflösung der USA, ein etwas komplexerer Hintergrund hätte mir hier aber noch besser gefallen.
Richtig detailliert und sehr realitätsnah hingegen wird der Überlebenskampf des Paares in der amerikanischen Wildnis geschildert. Die Versorgung der Grundbedürfnisse ist harte Arbeit, nichts selbstverständlich. Auf Dauer wird zusätzlich die Isolation des Paares zur echten Zerreißprobe.
Ich muss zugeben, dass mir Cal und Frida eine ganze Weile nicht so richtig sympathisch waren. Vor allem Frida wirkt angespannt und streckenweise zickig, ihre Stimmungen scheinen schwer nachvollziehbar. Cal, der liebevoll versucht seine Frau zu schützen und aus einer schlimmen Situation das Beste herauszuholen, hat mich deutlich mehr berührt. Aber in ihrem Zusammenspiel (auch mit den anderen Charakteren der neuen Gemeinschaft im Verlauf des Buches) haben mir dann die Eigenheiten beider Charaktere sehr gut gefallen. Auf Extremsituationen reagiert auch schließlich jeder ein bisschen anders.
Zum Verlauf der Handlung ist zu sagen, dass „California“ deutlich ruhiger daherkommt als viele andere Dystopien. Bis Cal und Frida auf die Gemeinschaft der übrigen Überlebenden treffen, ergibt sich die Spannung des Buches rein aus ihrem Überlebenskampf und ihren Konflikten. Später kommen noch die Erzählungen der Kommune, Rückblenden und Intrigen innerhalb der Gemeinschaft hinzu. Alles liest sich sehr realistisch und unaufgeregt, hat mich aber dennoch (oder gerade deswegen?) vom ersten Moment an gefesselt. Wer ein zweites Panem erwartet, wird hier enttäuscht werden, vielmehr besticht dieses Buch durch Themen rund um Moral, eigene Prioritäten und den Preis des Überlebens.

Ich habe das Buch regelrecht verschlungen und bin vom kontinuierlichen Aufbau der Geschichte und der detaillierten Erzählweise überzeugt. Das Ende wird leider recht kurz abgewickelt, ein paar mehr Kapitel hätten da nicht geschadet, einfach weil ich mich noch nicht aus der Geschichte losreißen wollte! Insgesamt vergebe ich 4 von 5 Leseratten, weil dieses Buch mich mit ruhiger Spannung und seiner gruselig realistischen Art unterhalten hat.

Das Buch in einem Tweet: „California“ ist eine solide Dystopie abseits vom Teenie-Panem-Einerlei. Es geht deutlich ruhiger, aber dabei realistisch und fesselnd zu.

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