Blogtour zum 125. Geburtstag von Agatha Christie


Agatha Christie, die Queen of Crime, feiert am 15. September 2015 ihren 125. Geburtstag. Besser gesagt, wir feiern gemeinsam mit dem Atlantik Verlag den Geburtstag der Schöpferin von Miss Marple und Hercule Poirot. Heute gibt es den vierten Teil der Geschichte hier bei uns im Rattenbau, wer fleißig mit uns ermittelt kann tolle Preise gewinnen. Wie das genau geht haben wir hier erklärt, doch jetzt:

Viel Spaß mit Teil 4 der Kurzgeschichte “Die Pralinenschachtel”!

Was ich auch tat. Wieder bekam ich, sobald ich mich als Kriminalkommissar auswies, die gewünschten Informationen. Am Tag vor Monsieur Déroulards Tod hatte man eine Arznei für Mr John Wilson zubereitet. Nicht, dass tatsächlich irgendetwas zubereitet werden musste. Es handelte sich lediglich um kleine Glyceroltrinitrat-Pillen. Ich bat darum, sie sehen zu dürfen. Als er sie mir zeigte, schlug mein Herz schneller, denn die winzigen Kügelchen waren aus – Schokolade.
›Ist das ein Gift?‹, fragte ich.
›Nein, Monsieur.‹
›Können Sie mir die Wirkung beschreiben?‹
›Die Pillen senken den Blutdruck. Sie kommen bei bestimmten Herzbeschwerden zur Anwendung, beispielsweise bei Angina Pectoris. Sie regulieren den Gefäßdruck. Bei Arteriosklerose …‹
Ich unterbrach ihn. ›Ma foi! Dieses Kauderwelsch sagt mir überhaupt nichts. Bekommt man davon ein rotes Gesicht?‹
›Auf jeden Fall.‹
›Und angenommen, ich esse zehn, zwanzig von Ihren kleinen Pillen, was dann?‹
›Das würde ich Ihnen nicht empfehlen‹, sagte er trocken.
›Und trotzdem behaupten Sie, es sei kein Gift?‹
›Es gibt viele Stoffe, die man nicht als Gifte bezeichnet, die aber einen Menschen trotzdem töten können‹, erwiderte er nüchtern.
Euphorisch verließ ich die Apotheke. Endlich kamen die Dinge in Gang!
Ich wusste jetzt, dass John Wilson die Mittel gehabt hätte, den Mord auszuführen – doch wie stand es mit dem Motiv? Er war geschäftlich nach Belgien gekommen und hatte Monsieur Déroulard, den er flüchtig kannte, gebeten, ihn zu beherbergen. Déroulards Tod schien ihm keinerlei Vorteile zu bringen. Außerdem zog ich Erkundigungen in England ein und erfuhr, dass er seit einigen Jahren an einer überaus schmerzhaften Herzkrankheit litt, die gemeinhin als Angina Pectoris bekannt ist. Daher hatte er jedes Recht, diese Pillen zu besitzen. Trotzdem war ich überzeugt, dass sich jemand an den Pralinenschachteln zu schaffen gemacht, versehentlich die volle zuerst geöffnet und dann aus der letzten Praline in der alten Schachtel die Füllung entfernt und so viele kleine Glyceroltrinitrat-Kügelchen wie möglich hineingestopft hatte. Die Pralinen waren groß. Ich war mir sicher, dass zwischen zwanzig und dreißig Pillen hineinpassen würden. Doch wer hatte es getan?
Es waren zwei Gäste im Haus gewesen. John Wilson hatte die Mittel gehabt, Saint Alard das Motiv. Vergessen Sie nicht, er war ein Fanatiker, und religiöse Fanatiker sind die schlimmsten. Hätte er sich, auf welche Art auch immer, John Wilsons Glyceroltrinitrat-Pillen beschaffen können?
Dann hatte ich noch eine andere kleine Idee. Ah, Sie lächeln über meine kleinen Ideen! Warum waren Wilson die Pillen ausgegangen? Er hätte sich doch sicher einen ausreichenden Vorrat aus England mitgebracht. Ich sprach noch einmal in der Avenue Louise vor. Wilson war nicht da, aber Félice, das Mädchen, das sein Zimmer in Ordnung hielt. Ich fragte sie sofort, ob es stimme, dass Monsieur Wilson kürzlich von seinem Waschtisch ein Fläschchen abhandengekommen sei. Das Mädchen antwortete bereitwillig. Es stimmte tatsächlich. Und ihr, Félice, habe man die Schuld gegeben. Der englische Gentleman habe offenbar gedacht, sie habe es zerbrochen, wolle es jedoch nicht zugeben. Obwohl sie es nie angefasst habe. Es sei garantiert Jeannette gewesen, die ständig ihre Nase in Sachen stecke, die sie überhaupt nichts angingen …
Ich bremste ihren Redefluss und verabschiedete mich von ihr. Ich wusste jetzt alles, was ich wissen wollte. Das Einzige, was noch fehlte, waren Beweise. Die würden allerdings nicht leicht zu erbringen sein. Ich mochte mir sicher sein, dass Saint Alard das Fläschchen mit den Glyceroltrinitrat-Pillen von John Wilsons Waschtisch entwendet hatte, doch um auch andere zu überzeugen, musste ich Beweise vorlegen. Und die hatte ich nicht!
Aber egal. Ich wusste es, das war das Entscheidende. Erinnern Sie sich noch an unsere Schwierigkeiten mit dem Mord auf Gut Styles, Hastings? Damals wusste ich es auch – aber es dauerte sehr lange, bis ich das fehlende Glied in der Kette fand und der Mörder überführt werden konnte.
Ich bat Mademoiselle Mesnard um eine Unterredung. Sie trat umgehend ein. Ich fragte sie nach Monsieur de Saint Alards Adresse. Ihre Züge nahmen einen unruhigen Ausdruck an.
›Wozu brauchen Sie die, Monsieur?‹
›Mademoiselle, sie ist unerlässlich.‹
Sie wirkte unsicher, besorgt.
›Er kann Ihnen nichts sagen. Die Gedanken dieses Mannes sind nicht von dieser Welt. Er merkt kaum, was um ihn herum vorgeht.‹
›Vielleicht, Mademoiselle. Trotzdem, er war ein alter Freund von Monsieur Déroulard. Möglicherweise kann er mir einiges erzählen – aus der Vergangenheit, alte Animositäten, alte Liebesgeschichten.‹
Das Mädchen errötete und biss sich auf die Lippe. ›Wie Sie wünschen, aber, aber ich bin mir jetzt sicher, dass ich mich geirrt habe. Es war nett von Ihnen, meiner Bitte nachzukommen, aber ich war in den Tagen nach seinem Tod so erschüttert – schier aufgelöst. Jetzt begreife ich, dass es gar kein Geheimnis zu lösen gibt. Ich bitte Sie, Monsieur, belassen Sie es dabei.‹
Ich sah sie scharf an.
›Mademoiselle‹, sagte ich, ›es ist manchmal schwierig für einen Hund, die Fährte aufzunehmen, aber wenn er sie einmal aufgenommen hat, wird ihn nichts auf der Welt mehr davon abbringen können! Das heißt, wenn er ein guter Hund ist! Und ich, Mademoiselle, ich, Hercule Poirot, bin ein sehr guter Hund.‹

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Nun, werte Ermittler, beantwortet die 4. Rätselfrage:
Woraus sind die Pillen von Mr. Wilson? Der 4. Buchstabe gehört an die 2. Position des Lösungsworts.

Wie die Geschichte weitergeht, lest ihr morgen auf Lesestunden und  gleich danach folgt übermorgen das große Finale bei Frau Hauptsachebunt.

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AGATHA CHRISTIE® POIROT®
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Für die deutschsprachige Ausgabe
Copyright © 2015 by Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg; Aus dem Englischen von Michael Mundhenk

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