Rezension: Das unbeschriebene Blatt von Marie Hermanson


Manchmal trifft man das Glück, wenn man schon gar nicht mehr damit gerechnet hat. So geht es auch dem Pechvogel Reine, der nach einem steinigen Lebensweg in der stillen und ungeschickten Angela endlich eine Seelenverwandte zu finden meint. Als unbeschriebenes Blatt wirkt sie ihm, so ruhig und ohne Vorgeschichte, ohne Leidenschaften. Reine möchte sich mit ihr eine Frau und ein Leben nach seinen Vorstellungen formen. Als die beiden ein Kind erwarten, scheint das Glück perfekt. Doch der Junge leidet an einer unheilbaren Krankheit und um die letzte mögliche Therapie zu finanzieren, ist Reine bereit bis zum Äußersten zu gehen.

„Das unbeschriebene Blatt“ liegt irgendwo zwischen stiller Erzählung und perfidem Krimi. Auch wenn die Handlung so unscheinbar und fast ereignislos beginnt, kann man sich dem Sog der Geschichte bald nicht mehr entziehen. Stilistisch ruhig und mit sachlichen, klaren Beschreibungen, wirkt die Atmosphäre dennoch düster und bedrohlich. Auch die eigentlich so sympathischen Charaktere, zwei Außenseiter auf dem Weg zum Glück, sind mehr als sie zu Beginn scheinen. Ihre böse und zum Teil aggressive Entwicklung hat mich beeindruckt.

Der Gedanke, ein Mensch könne wie ein unbeschriebenes Blatt nach den eigenen Vorstellungen geformt werden, wirkte auf mich absolut abschreckend. Die daraus resultierende Entwicklung ist extrem und zum Teil wirklich grausam. Durch diese einzigartige Konstellation der Beziehung kommen im Verlauf der Handlung bei beiden Protagonisten unerwartete Seiten zu Tage. Ihre Entwicklung ist nicht im klassischen Sinne “nachvollziehbar”, aber spannend und einzigartig.

In mancher Hinsicht ist “Das unbeschriebene Blatt” schwer einzuordnen: zu ruhig für Krimileser, zu grausam für Freunde stiller Erzählungen. Dadurch mag das Buch für beide Lesertypen nicht ideal sein, verbindet diese Genres aber doch gekonnt. Unterm Strich 4 von 5 Leseratten. Für mich steht fest: von dieser Autorin muss ich mehr lesen, die psychologisch interessante Situation hat mich gefesselt.

„Das unbeschriebene Blatt“ von Marie Hermanson, übersetzt von Regine Elsässer, erschienen im insel Taschenbuch Verlag, 238 Seiten, 9,99 € (Taschenbuch)

+ There are no comments

Add yours