Rezension: Ich gegen Osborne von Joey Goebel


Mit 18 wäre “Ich gegen Osborne” für mich eine Offenbarung gewesen, jetzt war es eine Reise, in ein wage bekanntes Land.

Das sich ein Schultag endlos ziehen kann, wissen wir alle noch aus unseren Schultagen. In “Ich gegen Osborne” macht ein Schultag sogar den gesamten Inhalt des Buches aus. Kapitel für Kapitel, Stunde für Stunde, kämpfen wir uns mit James durch die Osborne High. Seine Schule, seinen Mikrokosmos. Unser junger Protagonist und ich-Erzähler ist ein komischer Kauz und selbstgewählter Außenseiter. Er trägt stets den steifen Tweed-Anzug seines Vaters und wird in der Schule schon deshalb als Unikum behandelt. Seine Vorliebe für ungewöhnliche Literatur und Unfähigkeit im Kontakt mit Mädchen, machen es ihm nicht gerade leichter.

Es ist ja ein roter Faden in den Büchern von Joey Goebel, dass sich seine Geschichten immer auch um den Kampf von Außenseitern in unserer Gesellschaft drehen. In “Freaks” ist es eine chaotische Band, die gegen alle Erwartungen angeht. In “Vincent” wird ein talentierter, in sich gekehrter junger Mann in den Mühlen der Medienindustrie beinahe zerrieben. Weniger außergewöhnlich scheint der Kampf von James in “Ich gegen Osborne”, zeigt aber auch eine Gesellschaft im Kleinen.
Die verschiedenen Gruppen an der Highschool, der Druck “dazuzugehören” und die sowieso schon komplizierte Gefühlslage in der Pubertät, hat Joey Goebel toll in dieser Geschichte eingefangen. Das ist eine wunderbare Erzählung über die Jugend und im weiteren Sinne auch über das Leben allgemein. Denn der Wunsch irgendwo anzukommen und dazuzugehören, aber auch unserem eigenen Selbst irgendwie treu zu bleiben, begegnet uns immer wieder im Leben.

So kann man wunderbar über den tieferen Sinn hinter der Geschichte nachdenken, sich aber auch ganz platt an der Handlung freuen. Eigentlich ein recht unkompliziertes und trotzdem anregendes Buch. Ein Spagat, der in wenigen Büchern gelingt. Einziger Kritikpunkt für mich war die auf Dauer doch recht statische Handlung. Unser Protagonist ist ein Zauderer, analysiert und überlegt sehr erwachsen (zu erwachsen?), findet dazu aber kaum tatsächliche Entsprechung in seinen Erlebnissen. Im Vergleich zu “Vincent” wirkte die Geschichte dadurch etwas unvollständig.

Das ist Jammern auf ziemlich hohem Niveau und irgendwie auch unfair, alle Bücher mit “diesem einen Buch” des Autors zu vergleichen. Lesen sollte man sie alle. “Vincent” sowieso, “Ich gegen Osborne” am Besten direkt danach.

Für mich macht das sehr zufriedene, aber eben nicht ganz perfekte 4 von 5 Leseratten.

“Ich gegen Osborne” von Joey Goebel, übersetzt von Hans M. Herzog, erschienen im Diogenes Verlag, 512 Seiten, 11,90 € (Taschenbuch)

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