Rezension: Meine geniale Freundin von Elena Ferrante


Im Netz tobt das #FerranteFever und auch ich wurde infiziert. Um “Meine geniale Freundin” den Auftakt der Neapolitanischen Saga von Elena Ferrante, kommt man im Moment einfach nicht herum und ich wollte das auch gar nicht. Zu schnell war ich nach wenigen Seiten in dieser dramatischen und doch idyllischen Geschichte gefangen.

Die Neapolitanische Saga erzählt die Geschichte der Freundschaft zweier besonderer Frauen über viele Jahrzehnte hinweg. Im ersten Band “Meine geniale Freundin” lernen wir Elena und Lina (eigentlich Raffaella) kennen und begleiten sie den ersten Stück ihres Weges, von der Kindheit bis in ihre wilden Jugend im Neapel der fünfziger Jahre.
Elena und Lina sind zwei Charaktere, wie sie unterschiedlicher kaum sein können, das übliche Prinzip von sich anziehenden Gegensätzen. Lina ist äußerst begabt und wissbegierig, dabei aber unbändig und wild. Elena ist zurückhaltender und äußerst brav, ihre Erfolge basieren auf Strebsamkeit und Disziplin. Trotzdem werden (wie so oft im Leben und der Literatur) gerade diese beiden Mädchen Freundinnen. Im Buch verfolgen wir die ersten Jahre ihrer Freundschaft und merken schnell: dies ist keine reine Hanni-und-Nanni-Mädchenfreundschaft. Schon früh dreht sich die Geschichte auch um Eifersucht und Missgunst.

Ich fand es spannend zu lesen, wie sich die beiden Charaktere immer aufs Neue anziehen und abstoßen. Unverbrüchlich füreinander einstehen und hart gegeneinander kämpfen. All das wird beschrieben mit einer Menge italienischem Pathos. Die Stimmung im Buch ließ mich ein wenig an die “Der Pate” Trilogie denken. Dramatisch und leidenschaftlich und doch auch phasenweise beschaulich und idyllisch. Der Grat zwischen Kitsch und Drama ist dabei manchmal haarscharf, ich habe mich darin jedoch äußerst wohlgefühlt.

Zu Beginn war es für mich ein wenig schwierig in die Figurenwelt der Geschichte abzutauchen. Viele Haupt- und Nebencharaktere drängen sich in der Geschichte, konkurrieren oder harmonisieren miteinander und dies in wechselnden Konstellationen. Nach einer Phase des Kennenlernens, hat man aber das Gefühl mit der Geschichte Teil des neapolitanischen Viertels zu sein.
Und obwohl die Handlung insgesamt recht überschaubar ist, sich hauptsächlich anekdotisch fortbwegt, bekommen wir einen Eindruck der Bandbreite der Saga: Liebesgeschichten, Trennungen, Erfolg und Ruin, erste mafiöse Verwicklungen. Vielleicht an mancher Stelle ein bisschen dick aufgetragen, lässt es jedoch viel für die folgenden Bände erwarten.

Mich hat die Tiefe beeindruckt, in der Elena und Lina vorgestellt werden. Ihre Profile sind spannend und vor allem Elena, die ich-Erzählerin der Geschichte, lernen wir ganz nah kennen. Weite Teile des Buches werden durch ihre (Selbst-)Reflexionen bestimmt, Beobachtungen und Schlussfolgerungen. Ihre erzählende Stimme wirkt melodisch und nah, passend zum Titel ist es als würde eine enge Freundin erzählen. Diese Nähe lässt alles noch viel authentischer wirken und auch manch ungewöhnliche Entwicklung der Geschichte wirkt doch nachvollziehbar.

Interessant sind auch die beinahe beiläufig eingeschobenen Beschreibungen der Zeit und Gegend. Wie die Gesellschaft funktioniert und welchen Stellenwert zum Beispiel Schule und Bildung genießen, war interessant zu verfolgen. Aspekte, die dem Buch die nötige Tiefe geben und es ein Stück wegschieben vom Kitsch.

Insgesamt ein sehr schöner Auftakt für eine spannende Serie, die ich gerne weiter verfolgen möchte. Ein Buch, das wohl jeder Leser anders lesen wird: ein Buch über Freundschaft, ein Gesellschaftsroman, kitschige Italienidylle. Je nach Blickwinkel stimmt das alles. Für mich 5 von 5 Leseratten.

Das Buch in einem Tweet:

“Meine geniale Freundin” – Neapolitanische Saga Band 1 von Elena Ferrante, übersetzt von Karin Krieger, erschienen im Suhrkamp Verlag, 422 Seiten, 22,00 € (Hardcover)

Merken

Merken

2 Comments

Add yours

+ Leave a Comment