Rezension: Die Geheimnisse der Welt von Lisa O’Donnell


In Lisa O’Donnells zweitem Roman “Die Geheimnisse der Welt” geht es um den irrigen Glauben wir Erwachsenen können (und sollten) alles Übel vor unseren Kindern verbergen. In den Zwischentönen innerhalb einer Familie oder wie im Buch durch verschlossene Türen erfahren sie doch die Wahrheit.
So geschieht es auch, dass der elfjährige Michael Murray vom Drama, das seine Familie auf eine echte Zerreißprobe stellt, beinahe überrollt wird. Der Junge (der sonst ein besonderes Talent fürs Ballhochhalten hat) versucht sich zusammenzureimen, welches Geheimnis die Eltern so krampfhaft vor ihm verbergen. Dabei muss er sich mit Themen beschäftigen, sich Zusammenhänge zusammenreimen, die seine unbeschwerte Kindheit jäh beenden.

Die Geschichte ist wuchtiger und bedrückender, als ich zunächst glaubte. Keine leichten, kindlichen Geheimnisse sondern eine echte Familientragödie wird hier erzählt. Obwohl sich die Geschichte in Michaels eigentlich recht kindlichem Kosmos bewegt, werden heftige Themen angesprochen. Dabei verfolgen wir die Entwicklung von Michael, dessen Gedanken sich zunächst um Fußball und Talentwettbewerbe drehen und später über Rache und Gerechtigkeit kreisen.
Dieser Kontrast beziehungsweise diese Entwicklung hat mich wirklich schauern lassen. Irgendwie kommt es mir so vor, als wird ein Erwachsenwerden im Zeitraffer beschrieben. Spannend ist dabei vor allem zu beobachten, wie Michaels Eltern ihn vor der schockierenden Wahrheit schützen wollen und ihn dadurch mit seinen Ängsten und Mutmaßungen traurig allein lassen. Statt zu schützen, wird also auch diese gut gemeinte Behutsamkeit zur echten seelischen Belastung.

Inhaltlich hat mich “Die Geheimnisse der Welt” wirklich bewegt und konnte dadurch auch fesseln, obwohl ich mich sonst stilistisch im Buch nicht so ganz wiedergefunden habe. Die Erzählung aus Micheals Sicht wirkt manchmal so bemüht kindlich (für einen elfjährigen Jungen teils zu naiv und ziellos) und der Stil ein wenig sperrig. Ein bisschen fehlte mir die Melodie in der Sprache, so wirkte alles eher kühl und abgehackt. Das passt zwar wieder zu den schnell wechselnden, wild assoziierenden kindlichen Gedankengängen, hat mich aber nicht so ganz begeistert.

Insgesamt ist “Die Geheimnisse der Welt” trotzdem ein wunderbarer Beweis, dass auch ganz kurze Geschichten tiefen Eindruck hinterlassen können, wenn sie einen spannenden Gedanken verfolgen. Und so wird mir Michael und das Drama seiner Familie wohl noch lange erhalten bleiben, das macht für mich zufriedene 4 von 5 Leseratten.

“Die Geheimnisse der Welt” von Lisa O’Donnell, übersetzt von Stefanie Jacobs, erschienen im Dumont Verlag, 256 Seiten, 10,99 € (Taschenbuch)

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