Rezension: Einfache Gewitter von William Boyd


“Einfache Gewitter” von William Boyd ist eine tolle Mischung aus (unfreiwilligem) Agententhriller und modernem Robinson Crusoe.  Adam Kindred, ein renommierter Wetterforscher und sonst zurückhaltender, normaler Mann, wird durch einige wilde Zufälle plötzlich zum Gejagten. Sprichwörtlich “zur falschen Zeit am falschen Ort” wird er Zeuge eines Mordes und steht nun auf der Abschussliste einer offenbar mächtigen Organisation. Nur mit seiner Kleidung am Leib muss er in London untertauchen und versuchen herauszufinden, wer ihm nach dem Leben trachtet… und warum.

So simpel die Handlung klingt, so spannend und wunderbar ist sie umgesetzt. Durch die schiere Banalität der Zufälle, die all diese Verwicklungen auslösen, hatte ich immer ein bisschen das Gefühl “das könnte mir auch passieren”. Nein, könnte es natürlich nicht. Dafür sind die Zufälle wohl zu groß und auch die Entscheidungen des Protagonisten an einigen Stellen zu extrem, die Wirkung ist jedoch bestechend: mich erwischte die Geschichte unheimlich direkt und ich fieberte sofort mit Adam mit. Unwillkürlich überlegt man, wie man sich in einer Millionenstadt wie London in Sicherheit bringen könnte, versucht dieses Gedankenexperiment nachzuspielen.

Und auch William Boyd hat dieses Gedankenexperiment sehr genau durchgespielt: wie in Robinson Crusoe beobachten wir auch hier einen Protagonisten, der zuerst um die einfachsten Grundbedürfnisse kämpft und später versucht seine Situation in kleinen Schritten immer weiter zu verbessern. So vergehen die Seiten wie im Flug und auch die ein oder andere logische Lücke beziehungsweise der doch etwas überstrapazierte Zufall fällt nicht zu gravierend ins Gewicht. Wobei der doch schon manchmal etwas über Gebühr beansprucht wird: natürlich läuft unser Protagonist seinen Häschern ab und an “gerade rechtzeitig” aus dem Weg und alles war mal wieder haarscharf. Das wirkt ein wenig konstruiert, unterstreicht aber andererseits die Atmosphäre einer wilden Verfolgungsjagd noch ein wenig mehr.

Atmosphärisch war für mich “Einfache Gewitter” sowieso ein Genuss. William Boyd schreibt detailliert und trotzdem klar. Unwichtiges wird zu bloßen Aufzählungen gerafft, auch das verdeutlicht die Hast der Situation. Dadurch kommt die Handlung nie, aber auch wirklich nie ins stocken. Nur einige wichtige Geschehnisse werden weiter ausgebreitet, bekommen mehr Tiefe und Details. Ich mag diesen Wechsel und die dadurch entstehende Dichte des Textes, da ist kein Satz zu viel.

Auch die Hintergründe de Geschichte, die im Verlauf der Handlung ja erst Stück für Stück ans Licht kommen, haben mich überzeugt. Durchdacht und weder zu banal noch hollywood-like überzogen dramatisch kommen Geheimnisse zu Tage (jaja, ich mag Geheimnisse), die erklären wo Adam da hineingeraten ist.
Beeindruckt hat mich darüber hinaus auch die Bandbreite der Nebenhandlungen und Protagonisten: das “Personal” der Geschichte ist spannend zusammengesetzt und bildet verschiedenste Schichten (und Ausrichtungen) der Gesellschaft ab. Insgesamt wirken sie aber allesamt düster und rau.

Ich könnte noch eine Weile schwärmen und erzählen. Dabei ist das Buch wirklich nicht perfekt und trotzdem für meinen Geschmack ziemlich nah dran. Wer großen Wert auf realistische Entwicklungen legt, wird vermutlich von allem eine Schippe zu viel finden: zu viel Zufall, zu viel Action, zu viel Drama. Es ist aber ein Buch, in dem man sich fallen lassen kann und welches ein literarisches Pendant zu Popcornkino darstellt ohne dabei inhaltsleer zu sein, einfach gelungenes Leserattenfutter: 5 von 5 Leseratten.

“Einfache Gewitter” von William Boyd, übersetzt von Chris Hirte , erschienen im Berlin Verlag, 444 Seiten, 9,99 € (Taschenbuch)

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