Filmfreitag: Umweg nach Hause


Achtung: Ich werde ein wenig spoilern müssen. Natürlich bemühe ich mich so wenig von der Geschichte zu verraten wie möglich. Einige grundlegende Entwicklungen beziehungsweise Abweichungen in der Handlung zwischen Buch und Film muss ich aber unbedingt thematisieren.

Eigentlich hätte es wirklich gut werden können. Der Film beginnt schön, alles wirkt gleich locker und amüsant, die Atmosphäre vom Buch scheint gut getroffen. Auch Paul Rudd als Ben ist perfekt besetzt und nach kurzer Eingewöhnung gefiel mir auch Craig Roberts in der Rolle des Trevor wirklich gut.

Schon zu Beginn fällt auf, dass wirklich eher die derben Sprüche und kindischen Witze aufgegriffen werden als die ruhigen Stellen des Buches. Aber das ist okay, vielleicht sollen die Charaktere als jugendlich und wild vorgestellt werden, dafür ist alles recht stimmig.

Erste Irritation entsteht, als für mich entscheidende Handlungsabschnitte fehlen. Aber in Ordnung, auch das kennt man von Verfilmungen schon und ist häufig der knappen Zeit geschuldet. Schließlich kommt es auch im Film, wie in der Romanvorlage, zum zentralen Roadtrip. Dieser ist im Film etwas holprig eingeleitet, hat aber annähernd das gleiche Ziel: Trevor soll etwas von der Welt sehen und seinen Vater besuchen. Es deutet sich schon an, dass die Gewichtung eine andere ist aber schließlich spielte die Beziehung zu Trevors Vater im Film noch keine Rolle.
Leider fiel mir endgültig das Popcorn aus dem Mund, als im Film dann der so völlig zusammenhangslos initiierte Besuch des Vaters gezeigt wurde.
Zur Erklärung: Im Buch hat Trevors Vater die Familie früh verlassen, bereut diese Entscheidung später und bemüht sich um seinen Sohn, was Trevor zunächst zurückweist. Es geht um den Weg des Verzeihens und die Frage: Kann Trevor die Annäherung des Vaters akzeptieren und vielleicht irgendwann erwidern?
Im Film spart man sich die Mühe und die Zwischentöne. Trevor trifft unvermittelt auf einen im Film völlig unsympathisch wirkenden Vater. Der erklärt ihm kurz, dass er nichts mit ihm zu tun haben möchte und bietet etwas Taschengeld zum Trost. Fertig. Auf der Weiterfahrt ist man noch kurz traurig, aber auch das ist schnell erledigt. Unglaublich ärgerlich!
Es hat mich wirklich sehr gestört, dass die Besetzung dieses Konfliktes so völlig verdreht wurde. Soll da auf Krampf ein „normales Bild“ gezeichnet werden? Ist die Ablehnung nur in dieser Richtung filmtauglich? Durch diese Kehrtwende geht dem Film all das an Spannung und Gefühl verloren, was das Buch ausmacht. Gerade diese Aspekte der Elternschaft (wie hier in der Rezension schon gesagt) geben dem Buch Tiefe und Herz.

Ebenso rigoros wurde an Bens Rolle herumgekürzt. Seine tragische Geschichte und auch seine Entwicklung als Vater werden einfach beiseite geschoben. Er ist hier tatsächlich der gesichtslose Popo-Abwischer und Helfer, von seinem Charakter oder der Beziehung zu Trevor kaum etwas zu spüren. Es bleibt am Ende kaum etwas von dem Charme des Buches zurück.

Wirklich schade und enttäuschend, der Film ist „gut gemacht“, die Bilder und Schauspieler schön anzusehen, der Inhalt aber verstümmelt. Von einer wunderbaren Geschichte bleiben am Ende nur Teenie-Witze übers „im Stehen pinkeln“. Hier gilt leider mal wieder „lies das Buch!“. Keine Empfehlung für den Film von mir und auch keine Kinoratten.

“Umweg nach Hause”, Netflix Originals, Juni 2016, 93 Minuten,  Copyright für das Beitragsbild © Netflix / Annette Brown gemäß Filmstarts.de

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