Rezension: Der Rabe von Lionel Davidson


Mit “Der Rabe” von Lionel Davidson habe ich etwas erlebt, das mir so auch lange nicht mehr passiert ist: ich habe ein Buch gelesen, das meine Erwartungen völlig enttäuschte, dessen Geschichte mich deshalb kaum interessierte und das ich dennoch nicht weglegen konnte!

Mitten in der sibirischen Steppe befindet sich ein streng geheimes, unterirdisches Forschungslabor. Offiziell existiert dieser Ort nicht einmal. Wer dort eingestellt wird, kommt nie wieder lebendig weg. Weil ihm die Tragweite der Forschungen bewusst ist und sie an die Öffentlichkeit kommen sollen, schickt einer der Biologen einen Hilferuf. Sein einstiger Kollege Dr. Johnny Porter (Mikrobiologe und Sprachengenie), genannt “der Rabe”, soll in die Station gelangen und ihre Geheimnisse ans Licht bringen.

Ich habe mich wirklich auf die wissenschaftlichen Aspekte der Geschichte gefreut. In der Beschreibung werden Biologie, Genetik und Verhaltensforschung als zentrale Themen angekündigt. Tatsächlich ist “Der Rabe” zwar ein guter Thriller, die “Wissenschaft” kommt aber eindeutig zu kurz. Wer also auf diese Aspekte hofft, sollte wirklich lieber die Finger vom Buch lassen.
Viel mehr wird auf über der Hälfte des Buches (knapp 400 von 700 Seiten) die Vorgeschichte vorbereitet: die Kontaktaufnahme mit der Station und der umständliche Weg nach Sibirien. Das hat mich inhaltlich wirklich so gut wie gar nicht interessiert und doch… der Autor schafft es, dass man von Station zu Station weiter im Bann der Handlung bleibt. Trotz wirklich ewiger, sehr detaillierter und teils sogar eintöniger Beschreibungen der Reisestationen ist man gespannt was Johnny erwartet. Ziemlich klassische Elemente aus typischen  Agententhrillern, wie Identitätstausch und die Flucht vor gegnerischen Ermittlern, sorgen in dieser Phase trotz allem irgendwie für Spannung.

Ich kann kaum beschreiben, aber die Atmosphäre gibt ganz klar ein Gefühl von Verfolgung und Zeitdruck, die Handlung scheint einem großen Finale entgegen zu eilen.

Wirklich enttäuschend war für mich dann jedoch insgesamt die Gewichtung innerhalb der Geschichte: wir erfahren kaum etwas über Johnny, der als titelgebende Hauptfigur doch eindeutig im Zentrum der Geschichte stehen sollte, und auch der eigentliche “Höhepunkt” die Ankunft in der Station wird in wenigen Seiten abgehandelt.

In meinen Augen ist “Der Rabe” primär geeignet für Leser, die Wert auf Action legen und eine Vorliebe für klassische Agententhriller haben. Es ist handwerklich toll gemacht, trotz der insgesamt doch ausgeprägten Ausführlichkeit sind die einzelnen Szenen wirklich kurz und knackig ausgearbeitet, Dialoge eher knapp und spannend. Die angekündigte Themenvielfalt fehlt mir allerdings und lässt die Handlung so in meinen Augen etwas leer erscheinen.

Ich habe es trotz aller Kriterien gern gelesen und kaum weglegen können, war aber hinterher ein wenig enttäuscht. Zwischen “echt gut” und “echt schlecht” also diesmal ziemlich eindeutig mittelmäßige 3 von 5 Leseratten.

“Der Rabe” von Lionel Davidson, übersetzt von Walter Ahlers und Christian Spiel, erschienen im Penguin Verlag, 672 Seiten, 10,00 € (Taschenbuch)

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