Rezension: Die Nachtigall von Kristin Hannah


Anfangs schien „Die Nachtigall“ von Kristin Hannah für mich wirklich ein Genuss zu werden. Das Buch erzählt die Geschichte zweier grundverschiedener Schwestern im besetzten Frankreich während des Zweiten Weltkriegs: ihren Kampf ums Überleben und sogar ihren erbitterten Widerstand.
Der Einstieg in die Geschichte ist atmosphärisch wunderschön und die Szenen wirklich üppig. Bei den Beschreibungen der kulinarischen Köstlichkeiten läuft mir das Wasser im Mund zusammen, die Hauptfiguren wirken lebendig und versprechen auf Grund ihrer Gegensätzlichkeit einige Konflikte. Die Autorin lässt detailliert und liebevoll beschrieben eine tolle Kulisse vor meinem inneren Auge entstehen.

Später wurde Seite für Seite leider alles nur schlimmer. Viel schlimmer. Ja, natürlich ist das Buch „schön“ geschrieben, aber alles wirkte zu glatt und künstlich, wie eine Hollywoodvariante des Zweiten Weltkriegs. Aber Krieg ist eben nicht “schön”. Was anfangs satt und atmosphärisch schien, wirkte später völlig übertrieben und grotesk.

Kostprobe gefällig?

„Die Erde war aufgerissen, Löcher gähnten, Skelette hingen in den Bäumen, die Knochen klapperten im Wind.“

Auch die Entwicklungen der beiden Hauptfiguren drehten sich nach dem tollen Start leider ins absurde. Charakteristisch für die eine Schwester ist ihre Sturheit und ihr Trotz. Um dies zu verdeutlichen wird (entgegen jeder natürlichen Vorsicht) in jeder geeigneten (und ungeeigneten) Szene ihr Widerstand gegen die deutschen Besatzer gezeigt. Das ist zwar einerseits spannend, immerhin haben wir eine weibliche und mutige Widerstandskämpferin vor uns *yeah*, aber andererseits ziemlich unglaubwürdig umgesetzt. Bei einer derartigen Häufung von Dreistigkeit und Unvorsichtigkeit wäre sie im echten Leben wohl nicht so weit gekommen.
Die andere Schwester ist vorsichtig und zurückhaltend bis zur Unterwürfigkeit. Sie scheint exemplarisch für alles zu dienen, was der Autorin an Brutalität und Grausamkeit bei der Recherche zum Zweiten Weltkrieg so untergekommen ist.

Über Figuren, Stil und Atmosphäre kann man sicherlich streiten. Wirklich schade finde ich aber die Armut an (historischen) Details im Hinblick auf die Widerstandsbemühungen der Schwestern. In der Geschichte hilft eine Schwester abgestürzten britischen und amerikanischen Soldaten auf der Flucht aus dem besetzten Frankreich. Es wird seitenlang durch den Wald gestapft, gefroren und gehungert aber es erfolgt kaum eine historische Einordnung oder Erklärung der Hintergründe.

Dafür wird die Geschichte im Verlauf der Handlung immer mehr mit Kitsch und Pathos garniert. Teils wirklich schöne, aber doch eher als Kalenderspruch geeignete, Zitate und Dialoge sollen Bedeutung und Tiefe verdeutlichen wo kaum welche ist. Auch da hätte ich mir mehr erhofft, Überlegungen über die Situation der Schwestern, über Moral und Werte.

Für mich wirkte „Die Nachtigall“ insgesamt wie eine dieser künstlichen Mahlzeiten im Möbelhaus: sie sehen wunderschön aus, schmecken aber nicht und machen auch nicht satt. Unterm Strich gerade noch 2 von 5 Leseratten.

P.S. Wer sich wirklich für ein Frauenschicksal im besetzten Frankreich während des Zweiten Weltkriegs interessiert, ist mit „Priscilla – Von Liebe und Überleben in stürmischen Zeiten“ deutlich besser bedient.

“Die Nachtigall” von Kristin Hanna, übersetzt von Karolina Fell, erschienen im Aufbau Verlag, 608 Seiten, 19,99 € (Hardcover)

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4 Comments

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  1. 1
    Nanni

    Holla, du gehst ja hart in die Kritik. Aber die liest sich wirklich toll, obwohl ich „Die Nachtigall“ sehr mochte.
    Auch wenn ich dir an einigen Stellen Recht geben muss, mochte ich gerade die Art in der die Schicksale der beiden Schwestern beschrieben wurden, sehr gerne. Obwohl ich eigentlich keine so sehr naiv wirkenden Frauenfiguren mag, fand ich sie hier sehr passend, weil sie für mich die Spannung erhöht hat.
    „Priscilla“ ist auf jeden Fall auch notiert.
    Und ist ein Buch nicht gerade dann gelungen, wenn es so kontroverse Meinungen auslöst und damit das Thema ins Gespräch bringt?
    Viele liebe Grüße
    Nanni

    • 2
      Alexandra

      Hi,
      an sich kann ich auch verstehen, dass man das Buch mögen kann! Für mich war es nur wirklich ab einem gewissen Zeitpunkt zu viel :)
      Ich kann mir auch vorstellen, dass gerade dieser Stil und die für meinen Geschmack zu glatte Art dieses schwere Thema für eine ganz neue Leserschaft „schmackhaft“ machen, von daher ist ja alles okay. Empfehlen würde ich es jedenfalls nicht ;)
      Und du hast Recht: über das Buch scheiden sich offenbar doch die Geister! Was mich jetzt wirklich überrascht aber auch beruhigt, bisher dachte ich, dass ich mit meiner Antipathie alleine dastehe.

      Liebe Grüße
      Alex

  2. 4
    Beate Ehms

    Danke, danke, danke. Ich lese im Netz fast nur Lob über diesen Kitschroman und dachte auch, ich sei allein mit meiner kritischen Meinung. Ich bn bis Seite 98 gekommen und werde mich also nach 7 Kapiteln wieder einem guten Buch zuwenden. Der Roman ist kitschig, pathetisch,unrealistisch. Bereits die ersten Seiten sind voller, in meinen Augen, unglaubwürdiger Momente. Eine geschichtliche Einordnung fehlt. Ständig wird gefühlsduselig alles übertrieben. Wenn auf das Thema der Nazibarberei und auf Widerstandskampf aufmerksam gemacht werden soll, dann können einfach die Berichte der wirklichen Kämpfer*innen gelesen werden. „Die Nachtigall“ ist für mich fast schon Schund. Dass der renomierte Aufbau-Verlag dieses Buch herausgibt, kann wohl nur dem Bestsellerstatus in den USA geschuldet sin. Ökonomisch wird es sich also gelohnt haben.

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