Rezension: Umweg nach Hause von Jonathan Evison


Weil für mich Bücher auch immer eine Reise und ein Aufbruch ins Unbekannte sind, lese ich unheimlich gern Roadtrips. Einen ganz Besonderen habe ich in „Umweg nach Hause“ gefunden.

Eigentlich möchte Ben, der nach einem Schicksalsschlag eher orientierungslos vor sich hin lebt, nur wieder zu Geld kommen. Nach einem kurzen Lehrgang bekommt er kurzfristig einen Job als Pfleger des schwerbehinderten Trevor. Dieser ist ein mürrischer Teenager wie er im Buche steht und hat „ganz nebenbei“ noch ALS. Statt Trevor weiterhin in seiner Komfortzone zu betreuen (die primär aus Waffeln und dem Wetterbericht im TV besteht), möchte Ben ihm die Welt zeigen… oder doch zumindest das größte Erdloch der Welt.

Ein wenig erinnert die Geschichte an den Kinoerfolg „Ziemlich beste Freunde“, ein billiger Abklatsch ist sie in meinen Augen dennoch nicht. „Umweg nach Hause“ wirkt etwas chaotischer und planloser und ist insgesamt jugendlicher als „Ziemlich beste Freunde“. Das macht sich schon durch die Sprache und die Gedanken der Figuren bemerkbar. Ich mag so etwas und fühlte mich von dem unkonventionellen, frechen Ton gut angesprochen. Die Witze gehen manchmal fast unter die Gürtellinie, die Situationen scheinen bizarr aber genau dadurch ist die Geschichte so lebendig.

Außerdem spielt neben Behinderung und Pflege vor allem das Thema Elternschaft in all seinen Facetten eine zentrale Rolle. Das Buch handelt vom Eltern werden, vom (Über)Behüten, vom Loslassen und Versöhnung. Für meinen Geschmack ist es wunderschön gelungen, wie dieses Thema durch die unterschiedlichen Charaktere immer neue Aspekte gewinnt. Auch Trevor ist in der Geschichte nicht „nur der Behinderte“. Seine schwierige Beziehung zum Vater und die Kraft, die Verzeihen manchmal kostet, sind gelungene Aspekte der Geschichte und lassen ihn als Protagonisten angenehm normal wirken. Gerade das macht die Geschichte für mich einzigartig.

Natürlich steht Trevors Behinderung und sein Charakter insgesamt im Mittelpunkt der Geschichte ist aber für meinen Geschmack angenehm unkompliziert in die Handlung eingewoben. Ich kann nicht beurteilen, in wie weit das einer so schwerwiegenden Erkrankung gerecht wird und ob der Ton in dieser Hinsicht immer angemessen ist. Es schafft für mich aber den Spagat zwischen schwierigem Thema und unterhaltsamer, unverkrampfter Darstellung.

Gelungen ist in meinen Augen auch die Art, wie Ben als Pfleger genügend Raum in der Geschichte bekommt. Durch immer wieder eingestreute Rückblenden erfahren wir seine (tragische) Geschichte. Er ist nicht der konturlose Typ, der Trevor aufs Klo hilft, sondern bekommt ein ganz eigenes Gesicht, Träume und Probleme. Erst dadurch wurde die Handlung in sich wirklich nachvollziehbar.

Ihr merkt, insgesamt habe ich wirklich wenig bis nichts zu meckern. Die Geschichte mag erzählerisch nicht jedermanns Geschmack sein, dafür sind Ton und Stil vielleicht ein bisschen derb. Für mich bildet all das aber genau die richtige Einheit, ich kann nicht anders: 5 von 5 Leseratten.

„Umweg nach Hause“ von Jonathan Evison, übersetzt von Isabel Bogdan, erschienen im blanvalet Verlag, 384 Seiten, 9,99 € (Taschenbuch)

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