Rezension: Bis an die Grenze von Dave Eggers


“Bis an die Grenze” von Dave Eggers hat mich im wahrsten Sinne des Wortes an meine Grenze gebracht. Dieses Buch hat meine Toleranzgrenze mit einer irgendwie unsympathischen, völlig anstrengenden Hauptfigur und einer ziellosen Handlung ausgereizt.

Dabei klang die Geschichte wirklich interessant: Josie ist von ihrem Leben ein wenig enttäuscht und irgendwie überfordert. Also packt die junge Mutter ihre beiden Kinder, Paul und Ana, ein und reist mit ihnen nach Alaska, um dort einen Road Trip in einem klapprigen Wohnmobil zu unternehmen. Eine Reise durch die Wildnis soll ihr Abstand zu den Problemen daheim (unter anderem dem Vater der Kinder) und eine neue Sicht auf ihr Leben geben. Zeit zum Durchatmen!

Natürlich kann so ein literarischer Selbstfindungstripp schnell mal anstrengend werden und das Protagonisten nicht immer zu Einhundertprozent sympathisch sein müssen, ist wirklich in Ordnung, aber in “Bis an die Grenze” war mir alles ein wenig zu extrem.

Die Protagonistin verhält sich völlig unvorhersehbar und wenig nachvollziehbar. Ihre inneren Konflikte drehen sich um den Wunsch nach Konformismus und einem behüteten Leben einerseits und dem Drang nach absoluter Freiheit andererseits. Viel weiter als bis zu der Erkenntnis, dass diese beiden Lebenswünsche nicht gut vereinbar sind, kommt Josie auf ihrer Reise aber kaum. Diese Themen wirken willkürlich und ohne direkte Verbindung in die Handlung eingewoben und auch scheinbare “Lösungen” bieten in der Geschichte keinen echten Höhepunkt. Aber nicht nur in diesen inneren Konflikten, auch in der Darstellung ihres Verhaltens wirkt Josie anstrengend und unsympathisch: Alkohol und überstürzte Kurzschlussaktionen dominieren ihren Charakter.

Lange Zeit ist auch der Grund für Josies überstürzte Flucht nicht wirklich klar und der Leser vermutet, dass sie noch viel mehr seelischen Ballast mit sich herum schleppt, als man ahnt. Immerhin würde das vielleicht auch ihr Verhalten besser erklären. Diese Vermutungen bieten ein gewisses Potenzial und Spannung für den Verlauf der Handlung. Leider wirken die “Schicksalsschläge” die das Leben unserer Protagonistin so auf den Kopf stellten derart an den Haaren herbeigezogen und konstruiert, dass ich es kaum akzeptieren konnte. Es wird das Thema Schuld in der Geschichte betrachtet und dafür werden unserer (sowieso schon wirklich labilen) Hauptfigur noch weitere innere Konflikte aufgeladen. Nur durch eine unbedachte Aussage meint Josie einen unverzeihlichen Fehler begangen zu haben und macht sich selbst für eine große Tragödie verantwortlich. Ob das gerechtfertigt ist oder nicht? Auch diese Überlegungen verlaufen leider weitestgehend im Sande.

Irgendwie hatte ich das Gefühl ebenso hilflos wie Josie durch das Buch zu ackern. Die Handlung verläuft schleppend und einzelne Aspekte scheinen sich wahllos zu wiederholen. Mein einziger Lichtblick im gesamten Buch war Ana. Dave Eggers hat den Charakter dieser Figur so liebevoll, wild und sympathisch beschrieben, dass man sie am liebsten aus dem Buch retten würde. Die Momente in denen Ana im Zentrum der Handlung steht sind so voll Lebensdrang, dass es einfach Spaß macht ihr zu folgen. Leider kommen diese Abschnitte zu kurz um das Buch zu retten.

Eigentlich freue ich mich immer auf das Ende eines Road Trips. In diesen Geschichten wartet am Ziel meist das zufriedene Gefühl mit einem Buch und seinen Figuren wirklich angekommen zu sein. Leider war auch dies in “Bis an die Grenze” ganz anders. In den letzten Seiten mausert sich die Geschichte beinahe noch zum Abenteuerroman und endet dann ziemlich abrupt und (wieder) konstruiert.

Für mich war “Bis an die Grenze” eine echte Enttäuschung, da ich den Autor und seine geradlinige und interessante Erzählweise eigentlich wirklich mag. In diesem Buch haben mir jedoch die Überraschungen und der Tiefsinn seiner anderen Geschichten gefehlt (oder ich habe sie vielleicht einfach nicht erkennen können). Von mir nur traurige 1 von 5 Leseratten.

Das Buch in zwei Tweets:

 

“Bis an die Grenze” von Dave Eggers, übersetzt von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann, erschienen im Kiepenheuer & Witsch Verlag, 479 Seiten, 23,00 € (Hardcover)

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