Rezension: Als das Meer uns gehörte von Barbara J. Zitwer


“Als das Meer uns gehörte” von Barbara J. Zitwer ist ein Buch mit Charme. Die Atmosphäre des Schauplatzes, eines verschlafenen Küstenortes in der Nähe von New York, ist wirklich wunderschön eingefangen und macht das Buch zu einem netten Sommerschmöker. Leider ist das fast alles Gute, was von der Lektüre übrigblieb.

Das Buch erzählt die Geschichte von Tess Harding und ihrem Sohn Robbie, die sich in das Küstenstädtchen Montauk zurückziehen, nachdem ihr Mann (beziehungsweise Robbies Vater) ermordet wurde. Hier möchten sie nach dem schweren Schicksalsschlag zur Ruhe kommen. Vor allem der gehörlose Robbie, der den abgelegenen Ort zunächst ablehnt, findet in der Nähe zum Meer und einem geheimnisvollen Wal großen Trost.

Es hätte so schön sein können. Ich liebe Bücher über das Meer und seine Bewohner, auf die Verbindung des gehörlosen Jungen und des Wals hatte ich mich daher besonders gefreut. Leider spielt der Wal eine wirklich reduzierte Nebenrolle und sein Geheimnis wird nur gestreift. Warum er fast ausschließlich allein durch die Meere zieht und keine Artgenossen trifft, hätte man besser in die Geschichte integrieren und tiefer ausarbeiten können. Eigentlich spielen die Schuhe der Mutter eine größere Rolle als dieses besondere Tier und hätten ebenso gut das Cover des Buches zieren können. Zwar sind die Begegnungen mit dem majestätischen Wal wunderbar umschrieben, es entwickelt sich nur leider zu wenig daraus.

Zusätzlich wirken die die Konflikte im Buch durch die Bank weg konstruiert und überzogen: nach dem Mord am Ehemann und Vater der Familie kommen die üblichen Beziehungsdramen ans Licht, der Sohn wendet sich von seiner plötzlich fürsorglichen Mutter ab, diese zweifelt an sich, der Welt und ihrer Weiblichkeit. Dieser Zweifel lässt sich natürlich am Besten in den Armen eines knackigen Landjungen besänftigen und führt somit zu ebenso üblichen weiteren Dramen. Seufz. Es werden leider in fast jeder Wendung der Geschichte die üblichen Klischees abgearbeitet, das ermuntert zum fröhlichen mitraten der weiteren Entwicklung.

Wie die Handlung so sind leider auch die Figuren ziemliche Stereotype. Der gehörlose Robbie, dessen besondere Perspektive mich sehr interessiert hatte, wird primär dadurch gekennzeichnet, dass er ab und an die Hörgeräte (ist er dann eigentlich gehörlos oder eher stark schwerhörig?) ausschaltet und den Eltern nicht mehr zuhört. Eigentlich ein ziemlich normaler Teenager, nur dass die normalerweise ihre Eltern selbst überhören müssen. Auch Tess ist wenig tiefgründig und eher langweilig. Zu Beginn der Geschichte ein absoluter Workaholic, später auf der Sinnsuche und eine Übermutter.
Über Trauer und Verlust wird im Buch leider wenig gesprochen, obwohl dieser markerschütternde Schicksalsschlag die Basis der Geschichte ist. Dadurch wird das Buch einerseits nicht zu schwermütig, andererseits bleibt es einfach für diese Thematik zu sehr an der Oberfläche.

Ich gebe zu, dass ich besonderen Spaß daran habe, wenn ich logische Fehler in Filmen und Büchern entdecke. Ich suche nicht gezielt nach Unstimmigkeiten, aber wenn mir Ungereimtheiten ins Auge fallen, finde ich das wirklich spannend und freue mich auch ein bisschen, dass meine Aufmerksamkeit trotz des vielen Lesens auch für Details reicht. Wenn also auf Seite 251 gesagt wird

“Und diese exquisiten Spitzenstiefel hatte sie tatsächlich getragen, als sie sich zum letzten Mal geliebt hatten.”

aber auf Seite 342 dann behauptet wird

“Und Tess konnte sich nicht mehr daran erinnern, wie sie und Adam sich das letzte Mal geliebt hatten.”

muss ich darüber schon sehr schmunzeln. Wobei das vielleicht gar kein logischer Fehler ist und sich die Protagonistin möglicherweise wirklich nur an die Schuhe, nicht aber an ihren Mann erinnert? Diese Details sind für mich charakteristisch dafür, dass das Buch nicht wirklich durchdacht wirkt. Eine Collage schöner Schreibübungen, die nicht so gut zusammenpassen.

Was mich bei der Lektüre gehalten hat? Das Buch ist im besten Sinne unkompliziert und herrlich farbig geschrieben. Die Szenen sprühen vor, vor allem optischen, Details und sind vor meinem inneren Auge nett anzuschauen. Eine Geschichte, die sich flott weglesen lässt und entspannt.

Unterm Strich sind das für mich knapp 1,5 von 5 Leseratten. Ich hatte Spaß an der Lektüre (wenn auch vielleicht aus den falschen Gründen) und konnte mich beim Lesen gut erholen, auch dafür muss es Bücher geben. Eine echte Leseempfehlung ist es allerdings einfach nicht.

,5

“Als das Meer uns gehörte” von Barbara J. Zitwer, übersetzt von Yasemin Dinçer, erschienen im Aufbau Verlag, 389 Seiten, 19,99 € (Hardcover)

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