Rezension: Herz auf Eis von Isabelle Autissier


Ermüdet von ihrem langweiligen Stadtleben macht sich in “Herz auf Eis” ein junges, sportliches Paar auf eine große Reise. Gemeinsam wollen sie, wenn auch nicht die Welt, doch zumindest Afrika mit dem Segelschiff umrunden. Als sie sich dem Kap Hoorn nähern und einen unerlaubten Abstecher auf eine unbewohnte Insel machen, geschieht das unfassbare. Das Schiff reißt sich im Sturm los und Lousie und Ludovic bleiben in den eisigen Gewässern der Antarktis verlassen auf der Insel zurück.

Was sich daraus entspinnt ist ein Szenario, dass ein wenig an “Robinson Crusoe” erinnert, aber durch die Konflikte des jungen Paares noch einiges an Spannung gewinnt. Wo bleiben Liebe und Rücksicht, wenn es um das nackte Überleben geht? Die Autorin entwirft geschickt ein Beziehungsdrama, in dem die Protagonisten vor Hunger und Erschöpfung dünnhäutig geworden, ihre Gefühle ganz neu ausloten. Sie schwanken zwischen absoluter Hingabe und Zurückweisung, denn einerseits brodeln Schuldzuweisungen in ihnen, andererseits benötigen sie sich gegenseitig zum Überleben. Diese Gefühlsstürme sind für den Leser spannend zu verfolgen.

Ich möchte nicht mehr über den Verlauf der Handlung erzählen als nötig, denn ganz unbedarft kann man die Lektüre dieses Buches wohl am besten genießen. “Herz auf Eis” hat sich viel weiter beziehungsweise in ganz andere Regionen getraut, als ich es erwartet hatte. Es geht um Liebe und Zusammenhalt, Moral und Wahrheit. Durch die anhaltende Extremsituation übertreten die Protagonisten ihre körperlichen und seelischen Grenzen ständig.

Anfangs schienen mir die beiden Charaktere Louise und Ludovic etwas konstruiert, ihre Stärken und Schwächen passen so extrem gut zur Situation, in die sie von der Autorin geworfen werden. Das hat mich zunächst etwas gestört. Im weiteren Verlauf der Geschichte aber wird klar, dass die Wendungen der Geschichte und vor allem die harten moralischen Fragen mit denen sie konfrontiert werden sonst kaum möglich gewesen wären. Genau das ist es aber, was mich schließlich so begeistert hat.

Auf den knapp 220 Seiten leidet und kämpft man mit Lousie und Ludovic, erlebt die bedrückende Einöde der Insel und ihrer Situation. In ihrem feinen, reduzierten und doch ausreichend detaillierten Stil beschreibt Isabelle Autissier die härte der Natur und der menschlichen Gefühle wunderbar facettenreich. Dadurch ist das Buch im wahrsten Sinne des Wortes cool. “Herz auf Eis” ist nicht romantisch, hebt keinen moralischen Zeigefinger und belehrt. Es beschreibt sachlich und doch mit vielschichtigem Gefühl eine menschliche Extremsituation. Für mich 5 von 5 Leseratten für dieses ungewöhnliche Buch.

“Herz aus Eis” von Isabelle Autissier, übersetzt von Kirsten Gleinig, erschienen im Mare Verlag, 221 Seiten, 22,00 € (Hardcover)

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1 comment

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  1. 1
    -Leselust-

    Hallo Alexandra,
    Wow, das klingt ja wirklich nach einem tollen Buch. Ich bin auf den Titel schon beim Stöbern in der Verlagsvorschauen gestoßen, aber irgendwie hat der Klappentext mich nicht so richtig angesprochen. Aber jetzt habe ich schon so viele begeisterte Rezensionen dazu gelesen und deine ist auch so gut ausgefallen, da muss ich mir das Buch vielleicht doch noch mal genauer anschauen und ihm eine Chance geben.
    Liebe Grüße, Julia

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