Rezension: Sweetgirl von Travis Mulhauser


Eigentlich hat, wer Filme wie “Winter’s Bone” und “True Grit” mag, sehr gute Chancen “Sweetgirl” von Travis Mulhauser zu mögen. Da ich die Art von Szenerie dieser Filme sehr spannend finde, schien dieses Buch auch für mich gut zu passen. Tatsächlich ist “Sweetgirl” sehr spannend und fast filmhaft geschrieben, wirklich begeistern konnte es mich dennoch nicht.

Die Geschichte ist schnell erzählt. Als die 16-jährige Percy auf der Suche nach ihrer Mutter (welche drogenabhängig und weiß Gott kein gutes Vorbild ist) ein vernachlässigtes und halb erfrorenes Baby findet, nimmt sie sich des Kindes an. Um es in Sicherheit zu bringen stapft Percy mit dem Baby, liebevoll Sweetgirl genannt, durch die verschneiten Wälder und Berge Michigans. Dabei findet sie Unterstützer, muss aber auch gegen hartnäckige Verfolger und die Naturgewalten bestehen. Immer mit dem Ziel vor Augen, das wehrlose Kind zu retten.

Toll gelungen ist im Buch der (wie schon angesprochen) fast filmhafte Erzählstil. Die Geschichte hat Tempo und ist doch so umfassend beschrieben und jede Szene genau genug skizziert, dass man die Handlung stets ganz bildhaft vor Augen hat. “Sweetgirl” ist kein Buch in dem abstrakte Dialoge oder innere Monologe den Fluss der Handlung bremsen. Wie die Flucht der Protagonistin drängt auch die Erzählung weiter, weiter, weiter. Ein Buch in dem sich der berühmte “Lesefluss” wirklich schön entwickelt.

Trotzdem konnte mich das Buch nicht wirklich nachhaltig begeistern. Das liegt unter anderem daran, dass die Hintergründe und Szenerie der Geschichte kaum genutzt werden. Ob Percy im amerikanischen Hinterland vor verzottelten Drogensüchtigen flieht oder in New York vor einer Straßengang würde für die Geschichte keinen großen Unterschied machen. Ich hatte damals wirklich einige Probleme mit dem Film “Winter’s Bone” und habe mir dennoch erhofft, dass “Sweetgirl” in dieser Hinsicht etwas mehr wie dieser Film wäre. Tatsächlich war “Winter’s Bone” (der eine ganz ähnliche Thematik behandelt) obwohl der Film recht still und manchmal langatmig war, doch tiefgründiger und hinterfragender als “Sweetgirl” das werden konnte.
Die sozialen Hintergründe von Percys Situation und die abstruse Konstellation, dass sich eine Tochter um die eigene Mutter sorgen muss, werden in der Geschichte leider einfach zu wenig hinterfragt. Es wären wirklich spannende Aspekte gewesen, die aber kaum thematisiert werden.

Dabei bieten schon Percy als Charakter und ihre Situation, in die sie sich halbwegs freiwillig begibt, spannende Themen. Immerhin ist es eine schöne Verbindung, dass Percy auf der Suche nach ihrer Mutter auf ein weiteres verwahrlostes Kind stößt. In dem kleinen Mädchen spiegelt sich also auch ihre Figur. Vielleicht interpretiere  ich da nun wieder zu viel herein, aber ich habe der Protagonistin gewünscht, dass sie sich ein Stück weit selbst rettet. Denn eine sympathische und irgendwie liebenswerte Hauptfigur ist Percy wirklich. Sie wird mit leisem Humor und ganz schön tough dargestellt, ein Charakter mit dem man gern mitleidet. Zu gern hätte ich mehr von ihr erfahren.

Ich würde “Sweetgirl” allen Lesern empfehlen, die eine spannende und gut gemachte Geschichte suchen, die eben nicht zu viel Ballast mitbringt. Solide Unterhaltung, nicht weniger aber auch nicht viel mehr. Für mich ausgewogene 3 von 5 Leseratten.

Das Buch in einem Tweet:

 

“Sweetgirl” von Travis Mulhauser, übersetzt von Sophie Zeitz, erschienen im dtv Verlag, 252 Seiten, 14,90 € (Klappbroschur)

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