Rezension: Dornröschen von Ross Macdonald


Ich habe mich in den letzten Monaten durch fünf Krimis von Ross Macdonald geschmökert und könnte direkt weitermachen. Das passiert mir wirklich so leicht bei keinem Krimiautor, meist bin ich nach einem Buch schon satt. Bei diesem Autor kann ich einfach nicht genug bekommen. An “Dornröschen” habe ich dabei trotzdem mit Abstand am längsten gekaut, ein im Vergleich zu den übrigen Titeln dieses Autors etwas sperriges Buch.

Dabei beginnt es interessant, ein ausgelaufener Ölteppich ist es diesmal, der den Privatdetektiv Lew Archer mit seinen Mandanten und seinem Fall zusammenbringt. Er trifft am Strand eine aufgelöste Frau, die von der Naturkatastrophe sehr mitgenommen scheint. Zunächst möchte er nur die Frau beruhigen und wird dann in einen verwirrenden Vermisstenfall verwickelt.

Obwohl “Dornröschen” sogar sieben Jahre nach “Schwarzgeld” entstand, nämlich im Jahr 1973, wirken die Konstellationen hier doch etwas rückschrittlich. Die Frauenfiguren im Roman, die in den übrigen Büchern tough und unberechenbar dargestellt werden, sind hier eher hilf- und kopflos. Das beginnt mit der jungen Frau, die Archer zu Beginn des Romans trifft, setzt sich aber in beinahe allen weiblichen Haupt- und Nebenfiguren fort. Besonders schade, da die Ansichten des Autors sonst überraschend modern wirken und auch Gleichberechtigung immer wieder in seinen Romanen ein Thema ist.

Leider wirkt auch der Kriminalfall in dem Lew Archer schließlich ermittelt “nicht ganz frisch” und ein bisschen zu ähnlich zu den Fällen aus “Schwarzgeld” oder “Gänsehaut”. Auch hier handelt es sich um einen Vermisstenfall und einige Beziehungsdramen. Ich hatte mir etwas mehr von dem eigentlich recht ungewöhnlichen Umweltthema der Ölkatastrophe erhofft.

Trotzdem ist es auch wieder ein Krimi von Ross Macdonald und damit eben nicht ohne Charme und dieses besondere Flair. Sein Ermittler Lew Archer wird mir mit jedem Buch sympathischer (er trägt absolut keine privaten Dramen mit sich herum und ist trotzdem unverwechselbar und nicht oberflächlich charakterisiert) und die Atmosphäre seiner Romane ist unvergleichlich. Macdonald lässt ganz natürlich die verrücktesten Metaphern in seine Texte einfließen, um Geschehen und Personen perfekt zu beschreiben.

Sie blickte durch die offene Tür zum Highway hinaus. In Ihren Augen spiegelte sich die lichtdurchflutete Dunkelheit.

Diese Stellen sind so schön, dass es manchmal fast ein bisschen kitschig wirkt, wenn man sie so alleine stehen lässt. Ich kann euch beruhigen, die Krimis von Ross Macdonald sind alles andere als kitschig.

Vielleicht liegt es daran, dass ich direkt danach “Der blaue Hammer” gelesen habe, welches mich absolut umgehauen hat, aber im Vergleich zu seinen übrigen Büchern wirkt “Dornröschen” etwas weniger fesselnd.

“Dornröschen” von Ross Macdonald, übersetzt von Karsten Singelmann, erschienen im Diogenes Verlag, 388 Seiten, 14,90 € (Paperback)

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3 Comments

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    • 2
      Alexandra

      Dankeschön!
      Diogenes kann man einfach nur lieben ;) … aber ich bin natürlich ein bisschen voreingenommen, gehört zu meinen absoluten Lieblingsverlagen…

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