Rezension: Drei Tage und ein Leben von Pierre Lemaitre


Wenn du morgen noch nichts vor hast, solltest du dringend in die nächste Buchhandlung gehen, dir “Drei Tage und ein Leben” von Pierre Lemaitre kaufen und es möglichst in einem Rutsch durchlesen. Das ist sozusagen mein Serviervorschlag für dieses großartige kleine Buch.

“Drei Tage und ein Leben” erzählt die Geschichte einer Katastrophe. Immer wieder unterteilen wir unser Leben in Abschnitte, die sich an einschneidenden Erlebnissen und kleinen oder großen Katastrophen messen. In diesem Buch ist es die Zeit nach dem verschwinden eines kleinen Jungen und vor dem großen Unwetter, die eine ganze Region bewegt. Mitten drin, quasi im Zentrum des Sturms, steht der zwölfjährige Antoine.

“Das Ausmaß der Katastrophe hat ihn niedergeschmettert. Innerhalb weniger Minuten hat sein Leben die Richtung geändert. Er ist ein Mörder.”

In einem unbedachten Moment hat sich Antoine am Tod des kleinen Rémis schuldig gemacht und fühlt danach wie sein Leben aus der Bahn gerät. Ebenso leise wie dramatisch erzählt Pierre Lemaitre hier eine Geschichte über Schuld und Moral, das wunderbar Normale und das schaurig Böse.

Aus Antoines Perspektive werden die Folgen dieses einen tragischen Ereignisses erzählt, es wird beschrieben wie er mit Schuldgefühlen kämpft, um den toten Jungen trauert, später um Vertuschung kämpft und irgendwann nur noch seine Haut retten möchte.

Ich konnte das Buch nicht aus der Hand legen, genauso atemlos wie Antoine darum zittert nicht entdeckt zu werden (oder doch erwischt zu werden, um endlich die erlösende Beichte ablegen zu können) habe ich diese Geschichte verfolgt. Neben dem Drama um Antoine und Rémis erzählt der Roman auch toll die alltäglichen Geschichten eines kleinen, recht spießigen Ortes. Er berichtet Anführern und Mitläufern, Verdächtigungen und Ausgrenzung.

“Alle würden den Fall lieben, weil sich ihm gegenüber jeder herrlich normal fühlen würde.”

Besonders begeistert haben mich die facettenreichen Charaktere: Antoine ist eine gelungene Hauptfigur, sympathisch aber (natürlich!) nicht ohne Fehl und Tadel. Seine Mutter eine ruhige und schwer einzuschätzende Kraft in dieser Geschichte. Rémis, das perfekte Opfer, wird in der Erzählung beinahe zwanghaft ausgeblendet und wenig thematisiert. Diese Hauptfiguren aber auch alle Nebencharaktere sind nicht durchweg “nett” aber eben irgendwie immer glaubhaft.

Wie ein ruhiger und doch bildgewaltiger Film wird dieses Buch erzählt, ganz still und doch an den richtigen Stellen mitreißend und abgründig. So hat diese Geschichte für mich einen Sog entwickelt, dem ich nicht widerstehen konnte.

Das Buch in einem Tweet:

“Drei Tage und ein Leben” von Pierre Lemaitre, übersetzt von Tobias Scheffel, erschienen im Klett-Cotta Verlag, 266 Seiten, 20,00 € (Hardcover)

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2 Comments

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  1. 1
    Ruth Leukam

    Hallo,
    Ich habe das Buch auch gerade gelesen und war genauso begeistert. Es ist so packend, dass man es kaum weglegen kann und es beschäftigt mich immer noch. Ich habe richtig mit der Hauptfigur mitgelitten, obwohl es furchtbar ist, was er getan hat. Und später überrascht einem der Autor mit einer ganz anderen Wendung. Ja, unbedingt lesen!

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