Rezension: Das Leuchten am Rand der Welt von Eowyn Ivey


Es ist jetzt diese Zeit des Jahres, die genau richtig ist für dicke Wälzer. Für Geschichten mit einem Hauch Herzweh und Drama aber auch einer guten Portion Abenteuer. Kurz gesagt, es ist gerade genau die richtige Zeit für „Das Leuchten am Rand der Welt“.

Eowyn Ivey, deren erster Roman “Das Schneemädchen” bereits 2003 erschien, wuchs in Alaska auf und das merkt man ihren Geschichten einfach an. Ihr neuster Roman erzählt von der rauen Natur und den mystischen Geschichten, die sich die Menschen in Alaska seit ewigen Zeiten erzählen, und fängt damit das Herz und die Seele dieser besonderen Region wunderschön ein.

Im Zentrum der Geschichte steht die Expedition von Colonel Allen Forrester im Jahr 1885, er soll im Namen der US-Armee den Wolverine River in Alaska erkunden. Seine Frau Sophie, im Herzen ebenfalls eine echte Abenteurerin, muss wegen ihrer Schwangerschaft währenddessen in Vancouver zurückbleiben. Sie durchlebt aber in Gedanken jede Etappe der Reise mit. In “Das Leuchten am Rand der Welt” lesen wir die Tagebücher dieser beiden spannenden Figuren: sie schwanken zwischen Liebe und Sehnsucht, immerhin trennt die Expedition ein junges glückliches Paar, und dem Tatendrang neuer Entdeckungen.

Ich muss zugeben, obwohl ich Romane in Tagebuchform unheimlich liebe, habe ich mich erst recht schwer in den Fluss der Geschichte hineingefunden. Das liegt vor allem daran, dass der schnelle Wechsel der Abschnitte aus beiden Tagebüchern zunächst doch recht verwirrend wirkt. Zusätzlich sind diese beiden Perspektiven in einen dritten Erzählstrang eingebettet, ein Nachfahre der Forresters möchte ihren Nachlass an ein Museum am Wolverine River übergeben und beginnt einen Briefwechsel mit dem dortigen Kurator. Das sind also zu Beginn der Geschichte recht viele Erzählebenen, verschiedene Stimmen und zeitliche Ebenen.

Außerdem haben wir es vor allem bei Allen Forrester anfangs mit einem recht sperrigen, sachlichen Ton und einer eher gestelzten Erzählweise zu tun. Die Autorin hat wunderbar die Stimme des jungen Colonel eingefangen, der seine militärische Mission zu einem echten Erfolg machen möchte, ein wenig anstrengend ist er dennoch zu lesen.

Noch schöner hat sie es dann aber geschafft aus diesem erst recht unnahbar wirkenden Protagonisten, später einen echten Menschen zu machen. Im Verlauf der Geschichte verfällt auch Allen der Magie Alaskas und zweifelt teilweise sogar an seinem Verstand. Genau durch diesen Kontrast hat mich das Buch am Ende dann doch noch gepackt. Besonders spannend sind diese Entwicklungen, wenn man sich vor Augen hält, dass Eowyn Ivey hier eine wahre Begebenheit nacherzählt. Zwar wurde das Geschehen literarisch aufgearbeitet und ergänzt, die Faszination die bei den Figuren für Alaska entbrennt, ist jedoch echt.

Auch Sophie als Figur, oder besser gesagt als Persönlichkeit, hat mich beeindruckt. Eine unkonventionelle Frau, die sich nicht mit der Rolle der wartenden Gattin begnügt, sondern ebenso Pionierarbeit leistet: sie beschäftigt sich als erste Frau mit der Naturfotografie und erlangt einige Berühmtheit.

Es gibt also einige inspirierende Themen und Figuren in diesem Roman, allein das Feuer ist nicht endgültig übergesprungen. Das liegt wohl auch daran, dass es mich nicht ganz so sehr berühren konnte, wie “Das Schneemädchen” und mir im Vergleich nicht ganz so nah ging. Trotzdem ein schöner Buchtipp für kalte Tage und ein toller Schmöker für die kommende Weihnachtszeit.

“Das Leuchten am Rand der Welt” von Eowyn Ivey, übersetzt von Claudia Arlinghaus und Martina Tichy, erschienen im Rowohlt Verlag, 556 Seiten, 22,95 € (Hardcover)

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