Rezension: Die Herzen der Männer von Nickolas Butler


Über die Bücher von Nickolas Butler zu sprechen, fällt mir immer besonders schwer. Ich fürchte meiner Begeisterung nicht gerecht werden zu können oder hilflos mit platten Phrasen um mich zu werfen. Es scheint auch bei “Die Herzen der Männer” für mich nur diese zwei Optionen zu geben.

Denn natürlich kann ich sagen, dass die Geschichte ganz wunderbar ist, die Atmosphäre bombastisch (so bombastisch, dass man meint den staubigen Waldboden eines Pfadfinderlagers aus den Seiten klopfen zu müssen) und die Figuren so vielschichtig und liebenswert. Aber reicht das? Nun… ich muss es versuchen.

In “Die Herzen der Männer” verfolgen wir drei Generationen. Drei Männer, die in drei verschiedenen Kriegen gekämpft haben, stehen nacheinander im Zentrum dieser Geschichte. Nickolas Butler erzählt die weniger dramatischen Abschnitte ihres Lebens, lässt ihre, teils wirklich heftigen, Biografien aber durch Rückblenden oder Einschübe immer mit in die Handlung einfließen. Wir lernen diese Männer (oder zunächst Jungen) am Lagerfeuer eines Pfadfinderlagers kennen.
Dort treffen wir zunächst Nelson Doughty, zu Beginn 13 Jahre alt und ein strebsamer, schüchterner Junge. Ziemlich genau ein Drittel des Buches nutzt der Autor, um uns Nelson und seinen Charakter in diesem Mikrokosmos des Pfadfinderlagers vorzustellen. Er erzählt von Nelsons Zurückhaltung, der schwierigen Beziehung zum Vater, dem verzweifelten Mut im Angesicht von Schikane. Es sind nicht Nelsons Söhne und Enkel, die in den nächsten Abschnitten im Zentrum stehen. Trotzdem ist es Nelson, der in dieser Geschichte alles zusammenhält. Und so passt es ganz wunderbar, dass ich ihn von der ersten Seite an verzweifelt mochte. Ich habe so mit Nelson gelitten.

Eigentlich kann man sie nicht vergleichen, aber Nickolas Butler hat eine Art seine Settings zu beschreiben, die mich an Stephen King erinnert. Wir betreten Szenerien die so atmosphärisch dicht sind, dass man den Wald riecht und die Tannennadeln stechen. Trotzdem artet es nicht in Effi-Briest-artige, ellenlange Beschreibungsexzesse aus. Ich war noch nie in einem Pfadfinderlager, zum Zeitpunkt meiner Lektüre schneite es vor dem Fenster und trotzdem war ich mittendrin im sommerlichen Wald. Für mich sind die Geschichten von Nickolas Butler echtes Kopfkino. Immer wieder zeichnet er auch Bilder, die mir gar nicht mehr aus dem Kopf gehen, so beeindruckend, einfach aber einmalig (ich empfehle seine Kurzgeschichten, das titelgebende “Unter dem Lagerfeuer” kann ich nie mehr vergessen). Wie Kings Maine, so habe ich Nickolas Butlers Amerika ganz besonders vor Augen: rau und hart, aber mit liebenswerten und verletzlichen Menschen.

Last but not least, ich habe es schon angerissen, lebt und atmet diese Geschichte von ihren Protagonisten. Wir lernen drei Männer in ihrer gesamten Loyalität, mit ihren Konflikten und Unsicherheiten kennen und lieben. Nelson, Trevor und Thomas sind Figuren, die durch diese Vielschichtigkeit echt wirken. Dadurch trafen mich alle Schicksalsschläge und Grausamkeiten die den dreien Widerfahren mitten ins Herz. Ein Buch, das trotz ganz viel Normalität eine unheimliche Wucht entwickelt. Ich werde es noch mehr als einmal lesen müssen, um all diese Gefühle richtig zu erfassen.

Ich habe lange darüber nachgedacht, ob der Titel so richtig zur Geschichte passt. “Die Herzen der Männer” klingt etwas schwülstig und sentimental, das ist dieses Buch auf keinen Fall. Die Herzen der Männer ergründen können wir damit auch nicht. Nicht so ganz. Und doch. Gefühlvoll ist dieses Buch, eine Wucht an Emotionen die mich immer wieder überrollt hat. Und irgendwie wirft Nickolas Butler auch hin und wieder einen Blick in die Herzen seiner drei spannenden und lebendigen Protagonisten. Wir erfahren was sie lieben, was sie fürchten und wofür sie kämpfen.

Ich habe jede Seite genossen.

“Die Herzen der Männer” von Nickolas Butler, übersetzt von Dorothee Merkel, erschienen im Klett-Cotta Verlag, 477 Seiten, 22,00 € (Hardcover)

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