Rezension: Die Morde von Pye Hall von Anthony Horowitz


Die Genre, für die ich am häufigsten nach neuen Empfehlungen und Tipps gefragt werde, sind tatsächlich Krimis und Thriller. Da etwas Kluges zu sagen, fällt mir gar nicht so leicht. Ich selbst bin schnell von Büchern dieser Genres gelangweilt, ich habe wirklich das Gefühl, bestimmte Klischees einfach nicht mehr ertragen zu können. Meistens empfehle ich deshalb meine Standards, tolle und ungewöhnliche Autoren mit klugen Ideen: Keigo Higashino, Roger Smith oder Ross MacDonald. In Zukunft werde ich wohl “Die Morde von Pye Hall” von Anthony Horowitz zu dieser Liste hinzufügen. Dieser Roman, mit eindeutigen Krimielementen, hat nämlich wirklich viel zu bieten.

Zu allererst ist “Die Morde von Pye Hall” eine Geschichte in einer Geschichte, ein Roman in Matrjoschka-Form sozusagen. Das Buch handelt von einer Lektorin, deren erfolgreichster Autor auf seltsame Weise (und ziemlich plötzlich) ums Leben kommt, noch bevor der Verlag die letzten Kapitel des titelgebenden Krimis “Morde von Pye Hall” erhalten hat. Nun sucht die Lektorin nach Ursachen für den Tod des Autors und der Auflösung des wirklich spannenden Krimis, den wir im Buch eben auch gleich noch zu lesen bekommen.

Ich habe immer gewitzelt, dass das ein Buch für echte Sparfüchse sein könnte: zwei Geschichten zum Preis von einer. Irgendwie stimmt das auch. Also nicht unbedingt der Spar-Aspekt, sondern die Tatsache, dass beide Handlungsstränge für sich wunderbar funktionieren und unglaublich fesselnd zu lesen sind. Ich muss zugeben, dass ich zunächst traurig war, als der “Roman im Roman” endete und ich wieder in der Rahmenhandlung rund um die Lektorin und ihren toten Autor angelangt war. Doch dann entwickelte auch diese Rahmenhandlung eine solche Spannung, dass sie dem klassischen Krimi mindestens ebenbürtig ist.

Besonders gefallen hat mir dabei aber, dass gerade die Rahmenhandlung auch mit ein wenig Witz erzählt wird. Alles dreht sich um das Verlagswesen und den exzentrischen Autor, die Ermittlungen der Lektorin in diesem Setting werden daher auch immer wieder humorvoll mit klassischen Krimis verglichen. Einmal begegnen wir sogar dem Enkel von Agatha Christie. Diese Liebe zum Detail und dieses leichte Augenzwinkern verhindern, dass sich die Geschichte all zu ernst nimmt. Ein schöner Kontrast zur Krimi im Buch. Auch sprachlich ist es gelungen die beiden Stränge des Romans klar abzugrenzen. Die moderne, flottere Erzählweise der Rahmenhandlung steht im klaren Kontrast zur eher gediegenen Erzählform des Krimis. Das ist schön gewählt um den verstorbenen Autor und seine (literarischen) Eigenheiten noch besser zu betonen. Ich mag es, wenn Form und Inhalt sich so gut ergänzen.

Gelungen sind zudem die Figuren (beider Geschichten) dieses Buches. Wir treffen im Krimi die typischen Figuren klassischer englischer Kriminalromane: den Pfarrer, neu im Ort und ein bisschen suspekt, die ältere Frau, die allen Tratsch des Dorfes sammelt, den dubiosen Antiquitätenhändler, der war sicher schon mal im Gefängnis, so wie der schaut! In der Rahmenhandlung begegnen uns exzentrische Autoren, gestresste Verleger und windige Regisseure. Anthony Horowitz gelingt, was mir sonst in dieser Art Buch oft fehlt: mit wenigen Sätzen werden die Figuren glasklar charakterisiert, haben eine eindeutige Wiedererkennbarkeit in ihren Intentionen und ihrem Auftreten, sie haben eine Funktion. Es kann sein, dass einige Figuren dadurch etwas “grob” gezeichnet wirken, für mich war das in diesem Zusammenhang genau richtig. Ich konnte das Buch genießen, weil ich trotz einer Fülle an Figuren nie drohte durcheinander zu kommen. Keine Angst, ganz platt bleiben die Charaktere nicht, ihre Verbindungen und Beweggründe führen doch zur einen oder anderen Überraschung.

Insgesamt mag ich gar nicht zu viel sagen zu diesem Roman, man sollte ihn einfach lesen und sich ein wenig überraschen lassen. Wer “Das Buch der Spiegel” von E.O. Chirovici mochte, könnte sich auch in diesem Roman sehr wohl fühlen. Es ist ein Buch, perfekt zum Verschenken oder selbst lesen. Mal keine schwere Kost, wenige konfliktreiche Themen. Einfach spannende Knobelei (ich bin nicht auf die Lösung gekommen) und das was Lektüre auch sein soll: Spaß!

“Die Morde von Pye Hall” von Anthony Horowitz, übersetzt von Lutz-W. Wolff, erschienen im Suhrkamp Insel Verlag, 600 Seiten (weg wie nix, versprochen), 24,00 € (Hardcover)

1 comment

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  1. 1
    Pink Anemone

    Vielen Dank für diese tolle Rezension. Dieses Buch steht schon auf meiner WL, aber jetzt will ich es erst recht!!! Es ist leider schon so selten Krimis ohne Klischees zu lesen und ich reagiere darauf schon regelrecht allergisch..bäähhh.
    LG Conny

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