Rezension: Elefant von Martin Suter


Leider kann ich in den allgemeinen Begeisterungssturm zu Martin Suters “Elefant” nicht einsteigen. Zwar hat mich das Buch erzählerisch endlich mit Martin Suter ausgesöhnt, der komplexen Thematik wurde die Geschichte in meinen Augen aber nicht gerecht.

Eigentlich gefiel mir die Idee unheimlich gut, von “Elefant” erwartete ich mir eine völlig neue Herangehensweise an das kontroverse Thema Gentechnik. Wenn das Ergebnis einer solch umstrittenen Technik ein kleiner, rosafarbener und sanft im dunkeln leuchtender Elefant ist, zu dem sich jeder sofort hingezogen fühlt, muss es dann nicht auch neue Überlegungen zu dieser Thematik anstoßen? Die Frage ob und was an Gentechnik gut ist, wie beziehungsweise welche Ergebnisse einer solchen Forschung wünschenswert wären, wurde im Roman aber leider nicht gestellt. Viel zu leicht wurden die üblichen Klischees (der skrupellose Forscher) und Argumentationen (Designerbabies) ins Feld geführt. Das hat mich wirklich irritiert und enttäuscht. Natürlich ist die genetische Forschung in einigen Feldern auch moralisch problematisch und ihre Ergebnisse müssen streng abgewogen zur Anwendung kommen. Diese Darstellung ist mir trotzdem zu einseitig und unausgewogen. Es lässt außer acht, das viele Aspekte der Forschung auch dazu dienen Krankheiten besser zu verstehen und zu heilen. Es wirkte für mich, als würde der Autor es sich “leicht” machen und die üblichen akzeptierten Argumente in seinen Roman einbauen, eine facettenreiche und neue Betrachtung war das leider nicht.

Trotzdem hat mich “Elefant” erzählerisch sehr gut unterhalten und mir viel Spaß gemacht. Zwischen den verschiedenen Protagonisten der Geschichte entspinnt sich ein flotter Wettlauf um den kleinen Elefanten: der sanftmütige Tierpfleger, eine engagierte Tierärztin und ein ahnungsloser Obdachloser versuchen das Tier vor seinem skrupellosen Erschaffer und dessen chinesischen Forschungspartnern zu retten. Der kleine Elefant ist so niedlich und anmutig, dass sich jeder Protagonist sofort zu ihm hingezogen fühlt und so wächst auch im Leser eine sanfte Zuneigung zu diesem kleinen Tierchen. Dadurch hat Suter es geschafft für mich eine einerseits spannende aber auch wirklich berührende Geschichte zu entwerfen, die genau die Tiefe und Spannung hatte, die mir in seinen anderen Büchern teils fehlte. Zwar bleibt seine Erzählweise auch in “Elefant” zurückhaltend und behutsam, aber das Tempo ist doch deutlich höher, die Emotionen tiefer als ich es von Suter kannte. Wirklich toll!

Auch die Charakterisierung der Figuren gefiel mir diesmal deutlich besser. Wir lernen die verschiedenen Protagonisten immer über ihre Verbindung zum kleinen Elefanten kennen. So erhalten wir einerseits einen näheren Einblick in ihre Gefühlswelt, der Autor verliert sich aber andererseits nicht zu sehr in den Details der jeweiligen Charaktere. Eine ausgewogene Darstellung die für diesen eher kurzen Roman genau das richtige Maß getroffen hat.

Ich bin wirklich ratlos, kann und werde dieses Buch daher nicht bewerten. Es ist einerseits erzählerisch schön gemacht, hat mich gut unterhalten und begeistert mit seiner wirklich ungewöhnlichen Idee. Ein Roman, der mich von Martin Suters Erzählweise und dem Aufbau seiner Geschichten endlich überzeugt hat. All das schreit nach einer richtig guten Bewertung. Schließlich ist es ein Roman, der dem Leser vermutlich viel Freude bereiten wird. Andererseits kann ich ein Buch nicht uneingeschränkt gut bewerten, dessen Hintergründe mir so eindimensional erscheinen, obwohl die Thematik eigentlich anderes verlangt.

“Elefant” von Martin Suter, erschienen im Diogenes Verlag, 352 Seiten, 24,00 € (Hardcover)

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4 Comments

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  1. 1
    NNIN

    Hallo!
    Danke für Rezension. Ich kannte von Suter nur die Dunkle Seite des Mondes (hat mir gut gefallen).
    Die Frage übrigens, ob belletristische Klasse fachlich-inhaltliche Mängel ausgleichen kann, hat sich mir auch schon gestellt. Zum Beispiel bei Sorokins Ljod – Das Eis. Einerseits brillante Erzählkunst und -komposition, andererseits eine nüchterne (faktisch: wohlwollende) Darstellung einer Art Endzeitsekte, deren Erwählte z.T. sehr grausam vorgehen. Tja … Aber wahrscheinlich würde ich mich immer für die belletristische Klasse entscheiden, und gegen inhaltliche Ausgewogenheit, die ich in Sach/Fachbüchern suche. Aber jeder entscheidet anders.
    NNIN

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