Maya Angelous Stimme


“Es gibt keine größere Qual, als eine unerzählte Geschichte in Dir herumzutragen.”
– Maya Angelou

Doch Maya Angelou hat gegen diese Qual angeschrieben. Hat die Geschichten ihres bewegten Lebens, geprägt von Rassismus und Misogynie im Amerika der 1930er Jahre, aufgeschrieben. Sich und vielen anderen Schwarzen Frauen eine Stimme gegeben.

Sieben Bücher sind es insgesamt, in denen Maya Angelou ihr Leben erzählt. Das heißt “Ich weiß, warum der gefangene Vogel singt” ist erst der Anfang. Es fühlt sich dennoch an, als wäre darin bereits ein ganzes Leben verborgen: sie erzählt von ihren Eltern, die mit den Kindern überfordert waren und sie weggeschickt haben. Vom Leben bei ihrer Großmutter und ihrem Onkel in einem kleinen Südstaaten-Ort. Später der Weg zurück zu den Eltern, eine Episode unter Straßenkindern und ihre Karriere als erste Schwarze Schaffnerin in der Straßenbahn von Chicago. Die Erlebnisse, teils humorvoll, teils bewegend oder einfach erschütternd, lesen sich dabei manchmal wie Abenteuergeschichten. Phantastisch und voll Witz, aber immer mit einem ernsten, fast bitteren Kern.

“Ein Schleier hing zwischen der schwarzen Gemeinschaft und allem, was weiß war. Aber man konnte hindurchsehen und entwickelte ein Gefühl aus Furcht, Bewunderung und Verachtung für die weißen Dinge.”

Ich habe tagelang daran herum überlegt, wie ich ihrem Buch gerecht werden kann.Wie ich all die Gefühle, die das Buch in mir ausgelöst hat in Worte fassen kann. Und ich kann es kaum. Denn Maya Angelou schreibt nicht in erster Stelle ein Buch über Rassismus und doch ist das Thema natürlich präsent. Man kann die Geschichte eines jungen Schwarzen Mädchens dieser Zeit nicht erzählen, ohne die Ungerechtigkeit zu benennen, die sie erlebt.

Es sind Anekdoten wie die Schulabschlussfeier der Schwarzen Schule, die einem das besonders bewusst machen. Weißen Jugendlichen stehen alle Türen offen, doch die Schwarze Schule bekommt statt einem Physiklabor halbwegs feierlich einen Sportplatz gespendet. Denn männliche Schwarze Jugendliche könnten vielleicht Sportler oder Bluesmusiker werden, Schwarze Mädchen hatten sowieso keine Zukunft. Es ist diese Welt in der Maya Angelou aufwächst, bedroht von Rassismus und Gewalt, intellektuell nicht relevant.

Immer wieder ist es ihre Hautfarbe, die im Weißen Amerika dafür sorgt, dass Maya degradiert wird. In einigen Episoden arbeitet sie zum Beispiel als Hausmädchen, um ein wenig Geld zu verdienen. Obwohl sie dabei wieder das ganze Ausmaß der Arroganz der weißen Gesellschaft erlebt, verzweifelt sie nicht.

“Ein paar Sekunden lang war mir unklar, ob ich lachen (stell dir vor, du heißt Halleluja) oder weinen sollte (stell dir vor, irgendeine weiße Frau gibt dir aus eigener Machtvollkommenheit einen fremden Namen).”

Wie sie sich dabei scheinbar direkt an die Leser*innen wendet, nicht verbittert oder ermahnend, sondern einfach menschlich erzählt, hat mich völlig begeistert. Das ist so ein Buch, das man zuschlägt und welches dann noch tagelang nachhallt.

Immer wieder las ich in den Texten zu Maya Angelous Werk “Ich weiß, warum der gefangene Vogel singt” ein Wort: epochemachend. Das Werk sei epochemachend. In vielen Rezensionen wird es verwendet und auch der Verlag gibt es in seinen Texten wieder. Für mich war (und ist) dieser Begriff wenig greifbar. Maya Angelou begründet eine neue Literatur Schwarzer Frauen, gibt ihren Problemen und Perspektiven Raum. Ja, und doch hat diese Beschreibung in mir nachgeschwungen, denn es ist noch etwas mehr dran: In meinen Augen verbindet Maya Angelou Epochen. Ihr Blick ist damals neu und mutig, der Roman erzählerisch gelungen. Er kann und soll als Klassiker der Literatur gelesen werden. Aber es ist auch ein Buch, das uns heute in der Beschäftigung mit Diskriminierung und Rassismus hilft, das offenlegt und nach wie vor wichtig ist.

Viele Themen würden heute vermutlich anders beschrieben werden, aber sie fanden in diesen Werken erstmals ihren Platz. Als Lebensrealitäten, die nicht der weißen Mehrheit entsprachen, kaum Raum einnehmen konnten ein wichtiger Schritt. Wenn Maya Angelous behinderter Onkel als “Krüppel” bezeichnet wird, liest sich das für mich aus heutiger Perspektive problematisch, die Beleidigungen die Maya erlebt sind nicht eben besser. Und dennoch zeigt es, welchen Weg die Behindertenrechtsbewegung und Bürgerrechtsbewegung im Laufe der Jahre gegangen sind.

Ein Buch, das nie „aus der Mode“ kommt, weil es wichtig war und ist ihre Stimme zu hören.

 

„Ich weiß, warum der gefangene Vogel singt“ von Maya Angelou, übersetzt von Harry Oberländer, erschienen im Suhrkamp Verlag, 321 Seiten, Triggerwarnung: im Buch wird neben Rassismus auch sexuelle Gewalt an Kindern thematisiert.

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2 Comments

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  1. 1
    Mikka

    Hallo Alexandra,

    eine sehr schöne Rezension, die wunderbar zeigt, warum man die Werke von Maya Angelou lesen sollte – und das erinnert mich mal wieder daran, dass ich das schon seit Ewigkeiten vorhabe… Ihre Bücher wurden ja immer noch nicht alle auf Deutsch übersetzt, aber ich würde sie ohnehin eher in der Originalsprache lesen wollen. Ach, immer diese Bücher, die sich mit Hunderten Artgenossen die Wartebank teilen müssen…

    LG,
    Mikka

  2. 2
    Jacquy

    Super schöne Rezension. Ich habe das Buch für ein Uniseminar gelesen und fand es richtig schade, dass wir nur eine Stunde darüber gesprochen haben, weil es so viel zu sagen gegeben hätte. Ich werde es auf jeden Fall noch mal lesen und dann auch mit den anderen Bänden weitermachen, auch wenn du recht hast und es sich wirklich schon nach sehr viel anfühlt, obwohl nur ein kleiner Teil ihrer Geschichte erzählt wird.

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