Warum eine digitale Buchmesse Teilhabe bedeutet


Frankfurter Buchmesse 2019, Halle 3. Ich schiebe mich durch die vollen Gänge auf der Suche nach dem richtigen Messestand… Nein, eigentlich werde ich geschoben. Ich sitze im Rollstuhl und erlebe die Buchmessen üblicherweise auf Höhe der Hintern aller übrigen Besucher*innen. Ohne Begleitung wäre ich auf dem weitläufigen Gelände verloren, viele Stände haben Stufen oder Kanten und im Getümmel habe ich schon häufiger volle Büchertaschen abbekommen.

Ich kann es nicht anders sagen: die Buchmessen und mich, uns verbindet eine Hassliebe. Ich genieße die Termine mit netten Verlagsmitarbeiter*innen und habe schon so viele tolle Menschen auf den Messen kennen gelernt. Für mich gibt es da trotzdem viele dicke “aber”. Deswegen bin ich nach jeder Messe zu gleichen Teilen euphorisch über die Erlebnisse und erleichtert, dass es vorbei ist.

Im letzten Jahr war nun durch das Coronavirus alles anders. Massenveranstaltungen, wie wir sie bisher kannten, konnten nicht durchgeführt werden. Anders als von vielen gehofft, galt das auch für die Buchmessen. Diese Entscheidung hat uns im März, bei der Leipziger Buchmesse 2020, vielleicht noch etwas überrumpelt. Für die Frankfurter Buchmesse hatten sich viele Teilnehmer*innen aber schon darauf eingestellt, dass sie nur in kleinerem Rahmen oder gar nicht vor Ort stattfinden könnte.

Und die Buchbranche wurde kreativ!

Weil das Risiko für die Gesundheit der Besucher*innen und Aussteller*innen vor Ort viel zu groß war, hat man die Messe ins Netz verlegt und sich völlig neue Konzepte überlegt. Die Pandemie hat uns vielleicht aus den Messehallen ferngehalten, die Liebe zur Literatur hat uns aber trotzdem zusammengebracht.

Das Streamingprogramm der Frankfurter Buchmesse 2020 war wirklich wahnsinnig umfang- und abwechslungsreich. Ein Wochenende lang war alles dabei von Lesungen, Interviews und Diskussionsrunden bis hin zu Kochshows. Ich saß digital in der ersten Reihe bei Jamie Oliver, konnte dann zu einem spannenden Podiumsgespräch wechseln und danach eine Lesung anhören. Vom Sofa aus.

Die Übersicht und Navigation war vielleicht noch ein wenig verbesserungswürdig. Aber jede*r konnte frei zugänglich und ohne große Barrieren an diversen Veranstaltungen teilhaben. Mehr als ein Handy mit Internetzugang hätte es nicht gebraucht, um sich ein wenig Messestimmung nach Hause zu holen. Die Auftritte der Autor*innen, die da zu sehen waren, hätte man vor Ort zum Teil sicherlich nur mit viel Geduld und Geschubse erreichen können.

I <3 digitale Fachbesuchertage

Noch mehr beeindruckt als das lineare Streamingprogramm der Besuchertage, haben mich jedoch die interaktiven Aktionen rund um die Fachbesuchertage.

Mein Highlight, die Blogger-Happyhour, haben Hanser, dtv und C.H. Beck zum Beispiel statt am Messestand diesmal in einem Videokonferenztool mit Game-Charakter durchgeführt (Gathertown hat mich sehr begeistert). Eine Veranstaltung, die ich vor Ort nie wahrnehmen kann. Sonst stehe ich da eingequetscht und bewegungsunfähig (haltet ihr mal ein Sektglas und bewegt euch im Rollstuhl durch einen engen Messestand) irgendwo herum und versuche von schräg unten mit Menschen ins Gespräch zu kommen. Nach einem Tag auf der Messe, der mich körperlich sowieso an meine Grenzen bringt, ist das ein Termin den ich einfach nicht mehr schaffe.
Diesmal war für mich zum ersten Mal bei so einer Veranstaltung ein Gespräch ganz entspannt und auf Augenhöhe möglich. Und durch die Möglichkeiten des Tools kam trotzdem Messestimmung auf, man muss sich nur darauf einlassen.

Oder die Programmvorschau für Blogger von Rowohlt und das Diogenes Bloggertreffen: Veranstaltungen dieser Art sind vor Ort oft einfach wahnsinnig voll und unübersichtlich. Wenn man es schafft sich einen Platz zu sichern, heißt das noch lang nicht, dass man von den vorgestellten Büchern auch viel mitbekommt. Die digitale Variante war unterhaltsam und hat es geschafft alle irgendwie mitzunehmen.

Zusätzlich zu den üblichen Terminen kamen diesmal aber auch viele ungewöhnliche Ideen und Konzepte, die es so zuvor noch nicht gab. Klett Cotta hat zur Pandevue via Zoom geladen, die Fischer Verlage ihre Elevator Pitches statt im Verlagshaus bei YouTube abgehalten und Kiepenheuer & Witsch die Besprechungsplätzchen und Sekt per Post geschickt. Mit viel Kreativität und Witz haben alle das Beste aus der Situation gemacht und so viel mehr Menschen erreicht, die sonst nicht dabei sein können.

Bitte nehmt uns das nicht sofort wieder weg!

Leider schwang bei fast allen dieser Events zu irgendeinem Zeitpunkt mehr oder weniger stark der Tenor mit, dass man diese digitalen Formate irgendwie als notwendiges Übel betrachtet. Versteht mich nicht falsch, natürlich ist es schön, wenn bald wieder persönliche Treffen möglich sind. Aber muss sich das denn ausschließen?

Ich schreibe hier aus meiner speziellen Perspektive. Ich bin aber überzeugt, dass die Vorteile einer digitalen Buchmesse/ digitaler Veranstaltungen auch für viele andere nicht von der Hand zu weisen sind. Menschen mit chronischen oder psychischen Krankheiten und Behinderungen, Menschen mit wenig Geld, Ältere, Eltern mit kleinen Kindern oder einfach diejenigen, die beruflich zu stark eingespannt sind, um mal eben durch die Republik zu reisen. Für all jene ist Teilhabe “vor Ort und wie immer” oft nicht oder nur schwer möglich.
Denn bei der Freude und Euphorie, die so eine Messe versprüht, darf nicht vergessen werden, dass es auch Ressourcen kostet “dabei” zu sein: Kraft, Zeit und Geld, die eben nicht für alle selbstverständlich sind, auch wenn sie die Begeisterung zur Literatur teilen.

Mir macht die Vorstellung Angst, dass wir jetzt so viel Mut hatten, so viel probiert haben und danach alles wieder wegwerfen. Wieder zurück gehen zu dem “wie es immer schon war” und nicht auch die Vorteile dieser neuen Wege im Blick behalten. Es macht Sinn darüber zu sprechen wie und unter welchen Bedingungen diese Formate auch nach Corona beibehalten werden können.

Lasst uns das Gute aus der schrecklichen Zeit mitnehmen

Ich persönlich kenne den “Lockdown” schon länger. Nach Knochenbrüchen oder Operationen habe ich immer wieder längere Zeit mit Schmerzen zu Hause bleiben müssen. Die Isolation war in diesen Phasen schlimmer als im Moment. Im Gegensatz zur aktuellen Corona-Situation waren da kulturelle Veranstaltungen digital nämlich noch quasi kein Thema.

Wie schön wäre es, wenn wir diesen Gewinn der aktuell schrecklichen Situation irgendwie in die “Zeit danach” retten könnten. Es könnte so vielen Menschen endlich ein Stück mehr Teilhabe ermöglichen!

 

Pssst, übrigens: sogar einen Kaffee kannst du mir jetzt digital ausgeben … ;)

5 Comments

Add yours
  1. 1
    RoXXie SiXX

    Huhu,

    da ich bisher noch nie auf einer Buchmesse vor Ort war, kann ich nicht sagen, ob ich etwas vermisse. Leider musste ich in den letzten Jahren während die Buchmessen stattgefunden haben immer arbeiten, obwohl ich es von Wiesbaden aus nie weit nach Frankfurt hatte.
    Die digitale Buchmesse hingegen hat mich sehr begeistert. Da ich, aus verschiedenen Gründen keine große Freundin von Massenveranstaltungen (außer Konzerte) bin, hoffe ich, dass das digitale Programm ein Teil der Buchmessen bleiben, auch nach der Pandemie.

    Cheerio
    RoXXie

  2. 2
    Anette

    Ich habe das digitale Angebot der Frankfurter Buchmesse auch intensiv genutzt, überwiegend auch an den Fachbesuchertage. In Frankfurt bin ich meistens vor Ort, aber auf der Leipziger Buchmesse war ich noch nie, zu weit weg für mich. Wenn es da dieses Jahr auch ein digitales Angebot gibt, kann ich zum ersten Mal teilnehmen :-)

  3. 3
    Sebastian // Büchermonster

    Meine letzte Buchmesse ist jetzt auch schon eine Weile her (glaube FBM 2017?) und ich muss gestehen, dass die FBM 2020 in diesem Jahr auch total an mir vorbeigegangen ist. Ich hatte nur am Rande mitbekommen dass mehr oder wenige alle großen Verlag eh abgesagt hatten und mir das digitale Angebot dann auch nicht näher angeschaut, dafür hatte ich in diesem Jahr irgendwie nicht so richtig den Kopf frei :D

    Ich kann deine Argumente aber gut nachvollziehen. Wenn ich mich an meine Buchmessen-Besuche zurückerinnere dann war ich auch immer froh, dass ich schon von Mittwoch bis Freitag halbwegs in Ruhe durch die Gänge schlendern konnte, bevor dann am Wochenende die großen Massen angestürmt kamen und man sich dann kaum noch frei bewegen konnte, sondern irgendwie nur noch mit der Masse mitgeschwommen ist.

    Auch aus Kostengründen wäre es sicher erfreulich, wenn die Verlage auch weiterhin auf digitale Buchmesse-Angebote setzen würden. Ich hatte zwar immer Glück, bei einer Freundin unterkommen zu können und müsste somit nur die Anfahrt bezahlen, bei Hotel plus Fahrt plus Verpflegung etc. kommt da aber schon immer einiges zusammen, was sicherlich nicht jeder bezahlen kann oder möchte.

    Es sollte ja auch eigentlich nicht so schwer sein, auch in Zukunft diverse Veranstaltungen der Messe im Internet anzubieten. „Hybride“ Bloggertreffen könnte ich mir zwar etwas schwierig vorstellen (ich finde Gruppen-Meetings online z.B. in meinem beruflichen Alltag immer etwas anstrengend), aber sowas wie Autorenlesungen, Interviews, Kochshows oder auch digitale Messestände sollten doch eigentlich recht einfach umzusetzen sein.

    Sowas würde mich dann vielleicht in Zukunft auch wieder mehr für Buchmessen interessieren, denn eigentlich habe ich in absehbarer Zukunft nicht unbedingt vor, nochmal mehrere Tage für einen Messebesuch zu opfern, aber wenn man von zuhause hin und wieder das ein oder andere Event besuchen könnte wäre das sicherlich klasse und man könnte so garantiert viel mehr Menschen abholen und für die eigenen Angebote interessieren – auch ganz unabhängig von körperlichen, finanziellen oder sonstigen Einschränkungen.

  4. 4
    Mikka

    Hallo,

    ein großartiger Artikel, der mir aus der Seele spricht! Die neuen Wege, die wir wegen Corona gehen, helfen so vielen Menschen, die bisher außen vor blieben… Ich bin (meistens) nicht auf den Rollstuhl angewiesen, nur auf den Gehstock, feiere diese neuen Möglichkeiten aber dennoch.

    Vor ein paar Jahren habe ich beschlossen, nicht mehr auf Buchmessen zugehen, weil es körperlich einfach nicht mehr ging. Mir fehlt durch meine progrediente MS die Kraft für lange Tage im Gewühle, und wenn mich im Gewirr jemand anrempelt, ist aufgrund meiner stark eingeschränkten Koordination und meines mangelnden Gleichgewichts die Gefahr hoch, dass ich stürze.

    Ich nutze begeistert die neuen Angebote: Lesungen, Bloggertreffe, online-Lesekreise… Hoffentlich bricht das nicht wieder alles weg, wenn es für Menschen ohne Behinderung nicht mehr nötig ist.

    LG,
    Mikka

  5. 5
    Der Büchernarr

    Hallo Alexandra,
    da wirst Du vielen aus der Seele sprechen und ich hoffe, dass es zumindest zukünftig ein Hybrid-Modell geben wird. Das ist übrigens ein Leid vieler Messen, dass die nicht barrierefrei sind. Also grundsätzlich schon, nur die Standbauer achten dann oftmals nicht mehr darauf.
    Viele Grüße
    Frank

Schreibe einen Kommentar zu Sebastian // Büchermonster Antworten abbrechen