Frauen, Literatur, Frauenliteratur


An was denkst du, wenn du das Wort “Frauenliteratur” hörst? An pastellige Cover und irgendwelche seichten Geschichten? Wenn es gut läuft vielleicht noch an Themen wie Mutterschaft und Familie?! Aber doch längst an nicht an die sogenannte Hochliteratur! Nicht an so literarisch bedeutsames wie Romane über die Potenzprobleme mittelalter Männer, oder? Entschuldigung, das war gemein.

Aber Nicole Seifert zeigt in “Frauen Literatur”, dass die deutsche Literaturbranche manchmal auch ziemlich “gemein” ist. Jedenfalls dann, wenn man eine Autorin ist. Auch auf nicht binäre oder trans Personen, PoC und queere Menschen geht die Autorin ein. Behinderte Autor*innen werden nicht thematisiert, aber da sieht es leider nicht besser aus.

Marginalisierte Erfahrungen

Die Autorin erläutert anschaulich, wie Literatur häufig nur dann ernst genommen wird, wenn sie aus der Perspektive älterer Männer erzählt ist.

Das Leben von Frauen scheint es nicht Wert beschrieben zu werten. Zumindest werden Gegenstände weiblichen Schreibens häufig abgewertet, als trivial und naiv eingeordnet. Wenn Kritiker Begriffe wie “Menstruationsprosa” verwenden, spricht daraus die Verachtung für das weibliche Werk.

Viel zu oft haben Traumata und Erfahrungen von Frauen und Marginalisierten keinen Platz, weil sie sich nicht in die Weltsicht des bestehenden Kanons integrieren lassen. Sie werden abgewehrt, verdrängt und bestenfalls bereitwillig unter den Tisch fallen gelassen.

Auch wenn das manche Autoren gern anders darstellen, haben Erfahrungen einen großen Einfluss auf erzählende Literatur. Sie bestimmen was wir für bedeutsam halten und wie wir darüber sprechen. Es wird Zeit, dass wir auch marginalisierten Perspektiven endlich Raum geben.

“Denn wie soll sich ändern, was populär ist, wenn immer wieder das hochgehalten wird, was schon populär war?”

Zeit für einen neuen Kanon

Es geht hier nicht um das Bauchgefühl irgendwelcher übertrieben empfindlicher Feminist*innen. Studien attestieren dem Literaturbetrieb ein „strukturell nachweisbares, geschlechterbezogenes Bias, eine Voreingenommenheit“.

Das heißt? Wenn wir über “Literatur” sprechen, dann meinen wir in den allermeisten Fällen das, was Männer schreiben. Das schlägt sich auch in allen Zahlen nieder: je höher das literarische Ansehen eines Verlages ist, desto weniger Frauen werden veröffentlicht, Werke von Frauen werden seltener, kürzer und kritischer rezensiert als jene von Männern.

Es geht nicht darum, dass Literatur von Autorinnen nicht kritisiert werden soll. Im Gegenteil! Es geht darum über Literatur von Frauen ebenso intensiv und fair zu sprechen, wie über jene von Männern. Dazu gehört auch, dass mehr Werke von Autorinnen in den Kanon Einzug halten sollten, der bestimmt, was an Schulen und Universitäten gelehrt wird.

“Tatsächlich lässt sich in Deutschland nach wie vor leicht Abitur machen, ohne auch nur ein einziges Buch einer Frau lesen zu müssen.”

Neue Anstöße für alte Debatten

Nicole Seifert weiß worüber sie spricht, sie ist Initiatorin der Initativen #frauenzählen und #dichterdran, deren Entwicklung sie auch im Buch beschreibt. In dieser Position kennt sie vermutlich alle gängigen Argumente, die die Verteidiger*innen des Status Quo ins Feld führen in und auswendig. Entsprechend souverän zerlegt sie diese.

“Das Qualitätsargument hat aber noch einen weiteren Haken: Es ist naiv, weil es den Anschein erweckt, Qualität setze sich naturgemäß durch.”

Das bei der Zusammenstellung der Verlagsprogramme zum Beispiel eine ganze Menge mehr berücksichtigt wird, als nur “gute Texte” ist ja eigentlich keine große Überraschung. Schließlich sind Verlage Wirtschaftsunternehmen.

Man merkt der Autorin in jedem Satz die studierte Literaturwissenschaftlerin an. Mühelos führt sie uns durch verschiedene Epochen, verbindet sie Themen und Motive. Für mich, die immer interessiert ist ihr literarisches Allgemeinwissen zu erweitern, eine große Freude.

Was bleibt zurück? Nach der Lektüre von “Frauen Literatur” bin ich froh, dass ich auf mein Gefühl gehört und an Karl Ove Knausgards autobiographisches Projekt mit seinen Tausenden Seiten keine Zeit verschwendet habe.

Literatur von Männern, die derart ausführlich über ihre eigenen Bauchnabelfusseln schreiben, das literarische Werk von Frauen aber unter „keine Konkurrenz“ verbuchen, brauche ich wirklich nicht. Stattdessen habe ich mir mit großer Begeisterung Literatur- und Sachbuchempfehlungen von Nicole Seifert notiert und freue mich auf neue literarische Ausflüge.

Trivial = schlecht?

Ein Aspekt, der in meinen Augen in dieser Thematik allerdings noch etwas Raum hätte bekommen dürfen, ist die Frage nach der Abwertung vermeintlich trivialer Literatur. Die Autorin hat festgestellt, dass Werke von Frauen wesentlich häufiger als “trivial” angesehen und eben nicht für Literatur gehalten werden.

Triviale Texte, müssen aber nicht gleich schlicht und unbedeutend sein. Alltägliches, auch leichter zugänglich verfasste Literatur, hat seine Berechtigung und Notwendigkeit. Sie systematisch abzuwerten und teilweise regelrecht lächerlich zu machen, ist klassistisch und ableistisch.

Wenn wir die Zugänglichkeit und “Konsumierbarkeit” von Literatur negativ werten, schließen wir Menschen von Diskursen aus.

 

„Frauen Literatur – Abgewertet, vergessen, wiederentdeckt“ von Nicole Seifert, erschienen bei Kiepenheuer & Witsch, 212 Seiten. Werbung: Wenn du mich unterstützen möchtest, kannst du das Buch (oder beliebige andere) über meine Partner genialokal, Hugendubel, Bücher.de kaufen. Folge dafür einfach den Links, Danke!

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