Who wore it better? Unsichtbare Frauen vs. Das Patriarchat der Dinge


Heute gibt’s bei mir ein “Who wore it better?”, nur mit Büchern. Ja, das ist diese Rubrik, bekannt aus Klatschzeitschriften, die identische oder ähnliche Outfits irgendwelcher Celebretys bewertet. Nein, es geht nicht um sehr ähnliche Cover, sondern um die Umsetzung der Themen

Gender Data Gap & Patriarchales Design

Klingt gar nicht sooo spannend? Ist es aber! Denn, ohne Pathos, seit der Lektüre sehe ich die Welt ein bisschen anders. Aber gebt am Ende bitte nicht mir die Schuld, wenn es euch in eurem intersektionalen Feminismus radikalisiert. 😉

Die These beider Bücher: je weniger die Eigenschaften eines Teils der Bevölkerung beachtet werden, desto unpassender die daraus entwickelten Produkte und Strukturen für diesen Teil der Bevölkerung.

Ein plakatives Beispiel dafür sind Smartphones. Wenn bei der Entwicklung immer nur die durchschnittliche Größe der Handfläche von cis Männern berücksichtigt wird, ist es kein Wunder, dass diese Geräte für Menschen mit kleineren Händen (also häufig cis Frauen) ganz schön unpraktisch sein können.
Eine Folge? Ich kann mit meinem iPhone beim besten Willen nicht mit einer Hand ein Foto machen. (Liebe Männer, bitte seid stark und schreibt mir nicht, wie es doch geht. Ich hab alle Shortcuts getestet.)

Diese Problematik war mir zuvor natürlich nicht ganz unbekannt. Klar wusste ich, dass an kleinwüchsige Rollstuhlfahrerinnen niemand gedacht hat. Weder bei der Konzeption von Autos, Türen (ich hasse Feuerschutztüren), noch Einkaufswagen oder Kühlschränken,… You name it, nirgendwo. Ich dachte ich bin die Ausnahme und daher vergessen worden. Stimmt zum Teil. Aber dass eine viel größere Gruppe ebenso sehr als “Minderheit” und “Ausnahme” bewertet und vergessen wird, war mir nicht bewusst.

Dieses Vergessen von allen außer cis Männern hat Auswirkungen von der Städteplanung über Mode bis zur Medizin. Klar ist es vielleicht nicht so wichtig, ob eine Damenjeans echte Hosentaschen hat. Aber spätestens wenn es darum geht, dass prozentual viel mehr Frauen an einem Herzinfarkt sterben als Männer, einfach weil man die bei ihnen abweichenden Symtpome nicht erkennt, ist das gleich gar nicht mehr so lustig.

 

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Die Herausforderin “Unsichtbare Frauen” von Caroline Criado-Perez

In “Unsichtbare Frauen” liegt der Fokus auf genauen, korrekten Daten und der Gender Data Gap. Diese Datenlücke bezeichnet das Fehlen von cis Frauen in den Daten, die zur Entwicklung von so ziemlich allem in unserer Umgebung herangezogen werden. Das hat zur Folge, dass sie in der Welt nicht vorgesehen zu sein scheinen. Über Tausend Quellen werden eingearbeitet und erklärt, um das zu untermauern.

Aber wie kann ein Buch, das sich der Bedeutung gut ausgewählter, genau passender Daten auf unsere Welt widmet, selbst so ungenau sein? Im Buch wird leider nicht konkretisiert, dass immer von cis Frauen und Männern die Rede ist. Also Menschen, deren bei der Geburt zugeordnetes Geschlecht mit dem übereinstimmt, mit dem sie sich identifizieren. Weder trans noch nicht-binäre Menschen werden einbezogen.

Warum ist das übe problematisch? Zum einen, weil immer mehr Studien nahelegen dass „das biologische Geschlecht“ (oder wie es bei Loriot heißt „hat’s ein Zipfelchen oder kein Zipfelchen?“) ganz so einfach eben nicht ist. Und zum anderen weil die Unsichtbarkeit einer Gruppe nicht gegen andere eingetauscht werden sollte. Gerade dann nicht wenn es genauere, konkretere Erklärungen gibt. Die im übrigen auch cis Frauen besser gerecht werden und bessere Erklärungen liefern würden.
Aber diese Konkretisierung fehlt leider einfach. Manchmal geht’s um bestimmte Chromosomen, manchmal um Organe, manchmal um Gewichtsdurchschnitte, eine bestimmte Sozialisierung oder Rollenverteilung innerhalb einer Familie etc. Vor allem im Bereich der “Medizin” ist diese Ungenauigkeit wenig zielführend und passt nicht zur Kernaussage des Buches: wir müssen genauer werden in unseren Daten.

 

Die Kontrahentin “Das Patriarchat der Dinge” von Rebekka Endler

Schon der Titel lässt es erahnen. Der Rahmen von “Das Patriarchat der Dinge” von Rebekka ist weiter gesteckt. Die Autorin konzentriert sich nicht ausschließlich auf Frauen, sondern ganz allgemein darauf, welchen Einfluss das Patriarchat auf Design hat. Das klingt im ersten Moment vielleicht schwerer greifbar, geht aber im Grundsatz in eine sehr ähnliche Richtung wie “Unsichtbare Frauen”. Warum wurden Dinge und Strukturen so gestaltet, wie sie es sind? Der bedeutende Unterschied: die Autorin bezieht auch historische Erklärungen und Fragen rund um Macht mit in ihren Text ein.

Es werden nicht nur cis Frauen adressiert, sondern sehr konkret angesprochen, welche Aspekte im jeweiligen Beispiel den Ausschlag geben. Das können auch mal Rassismus oder Behinderung sein. Gerade damit hat sie meine Begeisterung geweckt, weil dieser Aspekt selbst bei Feminist*innen, die sich der Intersektionalität rühmen, gern vergessen wird. Denn es sind eben nicht nur cis Frauen, die vergessen wurden und jetzt Platz finden müssen.

In “Das Patriarchat der Dinge” wird ebenfalls eine Vielzahl von Produkten und “Designs” analysiert. Auch wenn es nicht ganz mit der schieren Masse von “Unsichtbare Frauen” mithalten kann, finden sich mal ähnliche, mal ganz neue Beispiele. Und erst Rebekka Endler hat mir durch ihre Beispiele verdeutlicht, dass in unserer Gesellschaft das männlich gesehene der “Standard” ist und die Frau als “Abweichung” gilt.

Beeindruckend ist zudem die Aktualität des Buches (Stand Oktober 2021). Es wirkt ebenfalls unheimlich gut recherchiert, aber bezieht auch Tagesgeschehen mit ein.

 

Fazit? Who wore it better?

Man hat es an meiner Kritik sicher schon bemerkt. Für mich bietet “Das Patriarchat der Dinge” den weitaus besseren Zugang zum Thema. Zwar liefert “Unsichtbare Frauen” eine unheimliche Menge an interessanter Fakten, aber die Schlussfolgerungen sind zum Teil zumindest fraglich. Das schale Gefühl, dass eine Unsichtbarkeit gegen andere getauscht werden soll, lässt sich einfach nicht abschütteln.

Im Gegensatz dazu ist “Das Patriarchat der Dinge” reflektierter, inklusiver, intersektionaler. Wichtige Probleme werden mehr in Beziehung gesetzt und kommentiert. Dadurch kommt keine so große Masse an Themen wie in “Unsichtbare Frauen” zustande, aber deren Einordnung ist besser gelungen. Nicht nur eine riesige Flut von Anekdoten für die nächste Party sondern eine Art die Welt zu sehen.

Erinnert ihr euch an Katharina Fegebank? Das ist die Politikerin der Grünen, die “gegenderte” Crashtest Dummys forderte. Diese selten schlechte Schlagzeile der BILD sollte für ein lächerliches Framing sorgen. Es überdeckte, dass Tests an neuen Automodellen eben verpflichtend nur mit männlichen Dummys durchgeführt werden müssen. Das Ergebnis ist, dass Frauen im Durchschnitt schwerere und häufiger tödliche Unfälle erleben. Gar nicht mehr so witzig, oder?

 

„Das Patriarchat der Dinge“ von Rebekka Endler, erschienen im Dumont Buchverlag, 336 Seiten. „Unsichtbare Frauen. Wie eine von Daten beherrschte Welt die Hälfte der Bevölkerung ignoriert“ von Caroline Criado-Perez, übersetzt von Stephanie Singh, erschienen im btb Verlag, 496 Seiten. Werbung: Wenn du mich unterstützen möchtest, kannst du das Buch (oder beliebige andere) über meine Partner genialokal, Hugendubel, Bücher.de kaufen. Folge dafür einfach den Links, Danke!

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