Die Angst vor der Einsamkeit


Heute gibt es mal wieder eine ganz persönliche Rezension. Einfach weil ich glaube, dass ich dem Buch nur so gerecht werden kann. Und weil ich mich frage, ob man darüber überhaupt sprechen kann, ohne sehr persönlich zu werden. In „Allein“ gibt der Autor und Kolumnist Daniel Schreiber viel von sich preis. Genau so kommen auch wir, wenn wir dieses Buch lesen und darüber sprechen, mit uns selbst ganz direkt in Kontakt.

Daniel Schreiber erzählt in seinem Buch die Geschichte des Alleinseins anhand seiner Erlebnisse von etwa 2019 bis 2021. Also kurz vor und während der Corona-Pandemie. Einer Zeit, in der die Sehnsucht nach Kontakten und sozialen Erlebnissen und die Gefahren der Einsamkeit bei vielen Menschen verstärkt ins Bewusstsein gerückt ist. 

Aber entgegen gängiger Behauptungen zeigt der Autor, dass das Alleinsein kein modernes Konzept ist. Auch keines der Pandemie. Es gab schon immer Denker*innen und Autor*innen, die sich mit dem Alleinsein beschäftigt haben.

Es klingt ein bisschen paradox, aber Daniel Schreiber beschreibt in seinem Buch das Phänomen, dass niemand über Einsamkeit sprechen möchte. Er beschreibt die reflexhafte Abwehr dieses Themas, die mitleidigen Blicke und bemühten Phrasen. Statt sich wirklich mit der Einsamkeit anderer (und der eigenen!) zu beschäftigen, wiegeln viele Menschen lieber ab. Es ist, als würde das Alleinsein durch das darüber sprechen real. Weil man dann am Ende wohl auch darüber nachdenken müsste. Solange man nichts dazu hört und sieht, kann man seine fragilen Vorstellungen vor sich her tragen und sich einreden „ich bin ja nicht allein“.

Vermutlich habe auch ich deshalb so lang mit mir gehadert, ob ich es aushalten könnte dieses Buch zu lesen. 

Einsamkeit gehört zu meinen größten Ängsten. 

Das muss ich mal so stehen lassen, denn es ist eine Tatsache, die man sich erst mal eingestehen muss. Ich weiß auch nicht wieviel davon in meiner Biografie begründet liegt und wieviel vielleicht noch durch meine Behinderung hinzu kommt. Aber Einsamkeit schnürt mir den Magen zu. Also wortwörtlich. 

Essen ist für mich Genuss und Gemeinschaft. In der kurzen Zeit, in der ich nach dem Studium allein wohnte und noch kaum Anschluss in der Stadt hatte, war Essen für mich super schwer. Ich hatte einfach keinen Appetit. Meistens hab ich mir Abends wahllos Fertigkost aufgetaut oder Brote geschmiert. Immer habe ich das Wenige vor dem laufenden Fernseher gegessen. Der simulierte zumindest annähernd so etwas wie Gesellschaft. Oft habe ich auch einfach gar nichts gegessen. 

Das klingt jetzt vielleicht düsterer als es war, ich habe nicht jeden Tag geweint und mich in Verzweiflung gewunden. Aber bestimmte Dinge verlieren für mich ohne den Kontakt zu anderen Menschen irgendwie an Farbe und Bedeutung. Ich war (und bin!?) noch nicht so bei mir angekommen, dass mir meine eigene Gesellschaft genügen würde.

Eine gute Traurigkeit

Immer wieder habe ich gelesen, dass „Allein“ kein trauriges Buch sei. Ein bisschen muss ich da widersprechen. Für mich war es schon eines, das auch mal unangenehm kneift und Gewissheiten in Frage stellt. Dabei ist es aber eben kein zerstörerisches, düsteres oder brutales Buch. 

Im Gegenteil: das Thema wird so sanft und emphatisch bearbeitet, dass es an einigen Stellen eine gute Traurigkeit aus den Leser*innen heraus kitzeln kann. Es vermittelt uns beim Lesen „Ja, wir sind schlussendlich alle irgendwie allein, aber guck mal, so furchtbar muss das alles gar nicht sein“.

Das Buch hilf, sich mit dem Alleinsein zu versöhnen. Dafür zeigt sich Daniel Schreiber ganz verletzlich und beschreibt die inneren Wunden, die entstehen können, wenn wir uns von bestimmten Gewissheiten unseres Lebens verabschieden müssen. Gleichzeitig spricht er mit farbigsten Details über so etwas heilsames wie Gärten. Ich kannte nur wenige der genannten Pflanzen, den Rest hätte ich vielleicht nachschlagen müssen, habe mich aber einfach am Rhythmus der Sprache und den schönen Beschreibungen gefreut.

Er beschreibt Gefühle, die so viele von uns kennen. Ob Menschen, die unfreiwillig Singles sind, mit einem unerfülltem Kinderwunsch kämpfen oder im Beruf ihrem Lebenstraum folgen wollten und daran gescheitert sind. Es gibt einfach manchmal Pläne und Träume, die gehen nicht auf. Da können wir uns noch so sehr sehnen und bemühen, es klappt nicht. Das ist vielleicht richtig scheiße, aber nichts wofür man sich schämen muss.

Leider werden diese Geschichten nicht oft erzählt. Wir lesen Bücher über glückliche Paare und hören, wie jemand eine perfekte Familie der erfolgreiche Firma gründen konnte. Für jedes Happy End, gibt es aber auch irgendwo einen Menschen, bei dem das alles eben nicht geklappt hat. Der oder die nun seine Lebenspläne neu sortieren muss. Wie gut ist es, wenn es Bücher gibt, die helfen uns mit diesen Gefühlen auseinanderzusetzen und unser Leben trotzdem zu genießen.

Es fühlt sich an, als kratzt Daniel Schreiber am Schorf, den man auf der Seele hat. Vielleicht blutet es noch mal ein bisschen (an einer Stelle habe ich geweint, weil mich das alles so überrollt hat), aber darunter ist die Haut rosa und eigentlich schon fast verheilt.

 

„Allein“ von Daniel Schreiber, erschienen im Hanser Literaturverlag, 160 Seiten. Werbung: Wenn du mich unterstützen möchtest, kannst du das Buch (oder beliebige andere) über meine Partner genialokal, Hugendubel, Bücher.de kaufen.

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