Treue: eine Geschichte des Geldes


„Treue“ von Hernan Diaz ist keine ganz einfache Lektüre, so viel vorab. Der Roman kostet ein wenig Mühe und wird nicht allen Leseratten Spaß machen. Aber wer sich darauf einlässt und vielleicht auch mal eine kleine Herausforderung sucht, wird definitv belohnt. 

Denn „Treue“ ist wie ein Puzzle. In den vier Abschnitten wird eine Geschichte mehrfach erzählt. Erst durch die verschiedenen Perspektiven und Formen enthüllt sich das Gesamtbild. Wichtig sind dabei natürlich nicht die Übereinstimmungen, sondern die feinen Unterschiede in jedem Abschnitt.

Erzählt wird die Lebensgeschichte eines Mannes, der während des Börsencrashs von 1929 ein Vermögen machte. Als die amerikanische Wertpapierbörse ins bodenlose stürzte, konnte er profitieren. Sein Werdegang, seine Beziehungen und die Frage zu welchen Kosten sein Reichtum entstand, werden in den vier Abschnitten Stück für Stück enthüllt. Es geht dabei um die abstrakte Dimension von Geld und Kapital, aber eben auch um amerikanische Geschichte, Geschlechterstereotypen und Macht. 

Da wo es um Macht und Geld geht, haben Frauen bisher nur wenig Platz. Sie werden maximal als Ehefrauen oder Sekretärinnen wahrgenommen. Aber nie haben Frauen wirklich Zugriff auf Kapital beziehungsweise Einfluss in den Erzählungen über die Finanzwelt. „Treue“ bricht diese Perspektive ein Stück weit auf. Immer wieder müssen wir uns beim Lesen fragen: über wen wird da gesprochen und wie? Außerdem ist interessant welche erzählenden Stimmen in welchem Abschnitt zu Wort kommen.

Mir persönlich hat „Treue“ erst so richtig Spaß gemacht, nachdem ich den Autor bei einer Lesung im Literaturhaus Frankfurt über den unheimlich spannenden Aufbau des Romans sprechen gehört habe. Die Überlegungen hinter dieser ungewöhnlichen Struktur zu kennen, hat mir die Orientierung im Text erleichtert und richtig Lust aufs Buch gemacht. Wer das nicht braucht und den Roman völlig selbst erkunden will, überspringt jetzt das Ende meiner Rezension . Wer ein bisschen Orientierung im Text sucht, liest hier weiter:

Achtung: geringfügige Spoiler!

Im ersten Teil des Buches lesen wir unter dem Titel „Verpflichtungen“ einen fiktiven Roman im Roman. Darin wird die Lebensgeschichte des Erben eines Tabak-Imperiums und seiner Frau erzählt. Zur Zeit des Börsencrashs kann er, statt ebenfalls alles zu verlieren, sein Vermögen noch einmal deutlich vergrößern. Aus seinem schon beträchtlichen Erbe wird wird ein unheimlicher Reichtum. Doch das Paar wird daraufhin gesellschaftlich geächtet, ihm wird die Schuld am Börsencrash gegeben.

Der zweite Teil „Mein Leben“ ist das Manuskript eines Mannes, der sich in der Hauptfigur aus „Verpflichtungen“ wieder erkennt. Mit diesem Manuskript möchte er aus seiner Perspektive darlegen, womit er sich im Roman falsch dargestellt sieht. So will er bezeugen, dass nicht er Schuld am Börsencrash war und auch seine Frau völlig falsch beschrieben wurde. 

Daran schließt der dritte Teil „Erinnerte Memoiren“ an, diesmal verfasst von einer jungen Frau der Arbeiterklasse. Wir hören hier die Geschichte einer Frau, die sonst in diesem Umfeld nie zu Wort gekommen wäre. Und wir erfahren, dass sie die Ghostwriterin des Manuskripts aus dem zweiten Abschnitt ist. Auch in ihrer Darstellung finden sich Richtigstellungen von Inhalten der beiden Abschnitte zuvor, jedoch auch noch jede Menge Zweifel.

Schließlich, im letzten Abschnitt „Vereinbarungen“ kommt die Frau des Mannes aus dem zweiten Abschnitt zu Wort. Sie klärt die Wahrheit über sein Vermögen und ihr gemeinsames Leben auf. Allein für dieses Finale, in dem sich alles zuvor sich so perfekt fügt, lohnt sich die Lektüre des Romans!

 

„Treue“ von Hernan Diaz, übersetzt von Hannes Meyer, erschienen im Hanser Literaturverlag, 410 Seiten.

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