Rezension: Die stille Frau von A.S.A. Harrison
Auf der Verlagsseite wird „Die stille Frau“ mit „Gone Girl“ von Gillian Flynn verglichen. „Gone Girl“ war in meinen Augen nicht perfekt, hat mir aber viel Spaß gemacht und ich habe seitdem auf ein ähnliches Buch gewartet. Die Beschreibungen von „Die stille Frau“ haben die hohe Erwartung geschürt, dass dieses Buch eher noch besser, psychologisch raffinierter, sein würde.
„Die stille Frau“ von A.S.A. Harrison
Berlin Verlag
384 Seiten
14,99 € (Klappbroschur)
Jodi und Todd leben die äußerlich perfekte Beziehung. Sie ist für ihn da, bekocht und bemuttert ihn. Er versorgt sie, bringt kleine Aufmerksamkeiten für sie mit nach Hause und hört ihr zu. Hinter der wirklich netten Fassade ist aber längst nicht mehr alles so perfekt, wie vor Jahren noch. Todd betrügt Jodi und aus seiner neuesten Affäre entwickeln sich unheilvolle Geschehnisse.
Die Geschichte wird in wechselnden Kapiteln „ER“ oder „SIE“ aus Jodis oder Todds Perspektive erzählt. Beide Sichten sind jeweils recht reduziert beschrieben und wirken eher still. Dadurch aber, dass man immer das Gefühl hat, einem inneren Monolog zu lauschen, ist man auch sehr nah bei den Protagonisten. Dieser Aufbau hat mir sehr gut gefallen.
Eigentlich ideale Voraussetzungen um Sympathie und Nähe zu entwickeln. So richtig ist mir das aber während des gesamten Buches nicht gelungen. Beide wirkten etwas farblos und austauschbar. Dazu kommt, dass Jodi extrem schweigsam, ausgeglichen und ruhig (still eben) beschrieben wird. Ihre durchgehende Passivität aber nicht zu den anderen Facetten ihres Charakters passt, der starke Wunsch nach Kontrolle und Ordnung müsste sich doch während der Handlung irgendwie Bahn brechen. Darauf habe ich vergeblich gewartet.
Selten ist mir ein Buch begegnet, das über einen so langen Zeitraum eine so starke, unterschwellige Spannung aufbauen konnte. Wirklich tragisch war für mich dann aber, dass diese angestaute Spannung und alle drohenden Konflikte im letzten Drittel des Buches einfach irgendwie verpuffen. Das ist, als würde Norman Bates in „Psycho“ mit dem Messer hinter dem Vorhang warten, die Musik kreischt drohend und… er legt das Messer beiseite und geht dann doch lieber schlafen. Zwar unerwartet und irgendwie überraschend, aber leider keine positive Überraschung wie ich sie mir gewünscht hatte.
Der Schreibstil des Buches hat mir wirklich wunderbar gefallen und hätte bei einer etwas ausgefeilteren Handlung toll zur Geltung kommen können. Charakteristisch war die ruhige und recht sachliche Erzählweise, bei der aber schon einzelne Adjektive eine ganz eigene Aussage über die Charaktere treffen, statt nur die Situation zu beschreiben. Wenn beschrieben wird, wie Jodi beim Kochen das Gemüse in „exakte geometrische“ Formen zerteilt, sagt das für mich unterschwellig viel über ihren Charakter aus. Daraus hätte man viel machen können. So blieb die Protagonistin trotz allem (wie gesagt) eher farblos und der Eindruck den sie hinterlässt ist fast schon traurig: auf den eigenen Komfort bedacht und unfähig mit Veränderungen umzugehen bewegt sie sich durch die Handlung.
Insgesamt hat mir das Buch nur mittelmäßig gefallen. Gute Ansätze waren da, Spannung und ein toller Stil haben mich an das Buch gefesselt, aber die Qualitäten wurden zum großen Teil nicht genutzt. Die Auflösung der Handlung ist bei so einer Art von Roman einfach entscheidend und ist hier in meinen Augen nicht gut gelungen, undramatisch aufgelöst und „kurz und schmerzlos“ abgehandelt steht das Ende etwas schwach gegen den langen und starken Aufbau des Buches. Insgesamt vergebe ich 3 von 5 Leseratten.
Hallo Alex,
eine wirklich schön geschriebene Rezension!
Bei mir subbt das Buch noch immer. Einerseits will ich es lesen, andererseits ist deine Rezension noch sehr positiv im Gegensatz zu denen, die ich sonst dazu gelesen habe. Aber alle sagen, dass die Geschichte verpufft.
Will ich so etwas lesen? Nö, eigentlich nicht. Naja, vielleicht kommt mal der richtige Zeitpunkt dafür.
Dir eine schöne Lesewoche, liebe Grüße, Iris