Rezension: Finnisches Feuer von Johanna Sinisalo
Manchmal gibt es Bücher, die sind zu verrückt um wahr zu sein. Schon das Cover von „Finnisches Feuer“ hat mich ziemlich irritiert… Als ich dann aber die Beschreibung las, habe ich wirklich geschwankt zwischen Verwirrung und Begeisterung. Ich muss ja sagen, für solche Bücher liebe ich Klett-Cotta bzw. den Tropen Verlag sehr. Da werden Bücher verlegt, die man so vermutlich nirgends sonst findet.
„Finnisches Feuer“ von Johanna Sinisalo
Klett-Cotta / Tropen
318 Seiten
21,95 € (Hardcover)
Das Finnland der nahen Zukunft ist ein euristokratischer Staat, mit einer ganz eigenen, sehr besonderen Werteordnung. Mädchen werden in „Femi und Neutri-Mädchen“ unterteilt und je nach ihrer „Eignung“ für die Gesellschaft zur Mutter oder harten Arbeiterin erzogen. Bei den Jungen zählen nur die echten „Maskos“ und dürfen gemeinsam mit der passenden Femi-Frau Nachwuchs zeugen. Alle Rauschmittel sind verboten und die Bevölkerung hat Capsaicin als neues Suchtmittel entdeckt.
In dieser absurden Welt wachsen Vera und Mira (umbenannt in Venna und Minna, weil das natürlich viel weiblicher klingt) bei ihrer Großmutter in einem abgelegenen Hof auf. Vera ist eigentlich kein Femi-Mädchen (sie liest gern, ist neugierig und aufmüpfig), doch die Großmutter kann die Behörden täuschen und so auch Vera ein angenehmes Leben ermöglichen. Das diese Scharade nicht lange gut gehen kann, ist ziemlich klar, oder?
Ich bin wirklich begeistert von diesem Buch! Anfangs dachte ich, dass die Aspekte des Chilli-Rausches viel mehr im Vordergrund stehen und war irre neugierig, was man aus dieser Idee machen kann. Die Handlung beginnt ja auch schon mit einer „Drogenübergabe“ zwischen Vera und einem Capsaicin-Händler. Dass dieser Teil des Buches im Vergleich zur späteren Entwicklung regelrecht normal wirkt, hätte ich mir nicht denken können…
Die Handlung wird aus Veras Sicht erzählt, teils in Briefen an ihre Schwester Minna, teils in eigenen Erlebnissen. Veras Erlebnisse nachzuvollziehen ist dabei anfangs ziemlich schwierig, aber durch die direkte Erzählweise war ich unheimlich schnell in der Geschichte abgetaucht. Die erzählerische Bandbreite bei diesen Abschnitten ist übrigens wirklich toll: die Briefe von Vera an Mira wirken liebevoll und melancholisch, die Beschreibungen des harten Alltags und der Chilli-Drogen sind zum Teil echt verstörend. Dazwischen gibt es dann immer wieder „offizielle Dokumente“ und Veröffentlichungen, die näher erläutern, wie die Gesellschaft in diesem Buch tickt. Diese Einschübe sind unheimlich befremdlich und witzig zugleich. Ein bisschen kommt das Buch in diesen Teilen wie eine feministische Dystopie daher! Ein echter Albtraum wird da gezeichnet, eine Welt in der Frauen nur nettes Beiwerk der Männer sein sollen und möglichst nicht mit Intellekt abschrecken. Frauen, die dafür nicht geeignet sind, werden bestenfalls Arbeitstiere. Das diese ganze Aufteilung von Männern und Frauen dann noch staatlich gesteuert ist, alles auf Überwachung und Kontrolle basiert und selbst Schokolade verboten ist, setzt dem ganzen die Krone auf. Und obwohl die gezeichnete Gesellschaft in Teilen so absurd ist, kommt man einfach direkt rein (da ist wieder der direkte Erzählstil schuld) und fiebert mit Vera, ob sie doch noch ein freies und selbstbestimmtes Leben führen kann.
Und auch neben dieser reinen Beschreibung einer ganz anderen Gesellschaft bietet das Buch einen tollen Spannungsbogen. Da ist einerseits die, schon angesprochene, interessante Entwicklung von Vera, die zum Teil ganz heimlich allein, zum Teil mit echten Widerständlern aus ihrer Rolle ausbrechen möchte. Andererseits ist da ihre Suche nach Mira, zu der sie nach Miras Hochzeit den Kontakt verlor. Das ganze entwickelt sich fast zu einem Kriminalroman und kann dadurch auf ganzer Strecke überzeugen. Von mir ganz eindeutig 5 von 5 Leseratten für dieses besondere Buch, das Hunger auf Chilli macht!
Das Buch in einem Tweet: Scharf, Schärfer, „Finnisches Feuer“. Feministische Dystopie, Kriminalroman, Drogenbuch in einem. Vorsicht! Macht Appetit auf Chilli!
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