Rezension: Ellbogen von Fatma Aydemir


“Ellbogen” von Fatma Aydemir war ein echtes literarisches Blinddate für mich. Ein Buch, das mich völlig überraschend total begeistert hat, obwohl ich ihm bis dahin keine Beachtung geschenkt habe. “Ellbogen” ist einfach ein Buch, dass einen nicht mehr loslässt, wenn man es einmal zur Hand nimmt.

Gleich zu Beginn wird man mitten in die Geschichte geworfen und ich habe mich in der ruppigen, schnoddrigen und irgendwie harten Sprache sofort wiedergefunden. “Ellbogen” erzählt von Hazal, einer jungen Deutsch-Türkin, die in ihrem Leben noch nicht richtig angekommen scheint. Schon auf den ersten Seiten des Buches steckt Hazal in der Klemme und das wird auch im Verlauf der Geschichte nicht besser. Wir müssen tatenlos zusehen, wie Hazal immer tiefer in Probleme schliddert. Dabei ist sie eigentlich ein ganz normales Mädchen, hängt aber zwischen den Kulturen fest und hat auch einfach ihren Weg im Leben noch nicht gefunden. Keine Ausbildung in Aussicht, aber ein dröger Aushilfsjob in der Bäckerei ihres Onkels. Kein hippes und freies Partyleben, sondern verbotene Ausflüge ins Nachtleben mit ihren Freundinnen. Sie scheint in einem bedrückenden Schwebezustand zu hängen, bis ein Abend alles verändert und sie völlig ratlos nach Istanbul flieht.

Obwohl sie dort noch nie war, scheint diese Stadt ihre Identität in Frage zu stellen. Ist Hazal Deutsche oder eigentlich doch Türkin? Wo kann sie endlich sie selbst sein? Es geht darum, wie sehr uns unsere Herkunft zu dem macht, was wir sind. Es geht aber auch um Vorurteile und Erwartungen, die Menschen ungewollt in eine Richtung drängen können, die sie so gar nicht einschlagen wollen.

“Wegen der Ellbogen, die uns das Leben reingerammt hat, immer wieder, und immer noch. Überall nur Ellbogen von denen, die stärker sind als wir.”

Viele der Klischees die im Buch dargestellt werden, kennt man auch aus dem eigenen Leben und es ist ungewohnt, sie aus dieser anderen Perspektive zu betrachten. Entgegen vieler anderer Bücher, die so “cool” wirken möchten, lässt “Ellbogen” dabei auch viel Gefühl und viele nachdenkliche Töne zu. Zwar wird das durch die ich-Perspektive von Hazal auch meist sehr tough und hart formuliert, in den Zwischentönen wird aber die schwere ihrer Probleme und ihre Verletzlichkeit deutlich. Wir lernen in diesem Buch eine Protagonistin kennen, die man eigentlich sofort mag. Ihre schlagfertige und witzige Art wird toll dargestellt. Trotzdem wird Hazal durch die titelgebenden “Ellbogen” immer wieder nach unten gedrückt und entwickelt sich in eben diese Richtung. Das mitzuerleben ist manchmal schwer zu verkraften.

Neben den allgemeinen kulturellen Konflikten und den ganz privaten Themen des Erwachsenwerdens ist “Ellbogen” auch ziemlich politisch, bringt aktuellste Themen auf und zeigt auch diese von einer anderen Seite. Spannend ist, dass dabei vieles ebenso wenig hinterfragt wird, wie wir unsere Sicht auf die Welt hinterfragen.

Kurz und gut, ich kann es nicht anders sagen: “Ellbogen” ist ein spannender Coming-of-Age-Roman, der mich von der ersten bis zur letzten Seite begeistert hat. Ich als Kartoffel kann nicht sagen wie authentisch das Buch ist, aber es hat mich wirklich nachdenklich gemacht.

“Ellbogen” von Fatma Aydemir, erschienen im Hanser Verlag, 271 Seiten, 20,00 € (Hardcover)

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