Buchtipp: Landleben. Von einer, die raus zog von Hilal Sezgin


Ich bin in einer Kleinstadt, mitten in einem recht ländlichen, eigentlich sehr schönen Landkreis aufgewachsen. Zumindest sehe ich das heute so, damals als ich gerade 18 wurde und “nur raus” wollte, hatte ich keine Augen für die Natur und meine Umgebung. Ich wollte unbedingt in eine Großstadt ziehen. Endlich barrierefrei (oder nahezu) in Geschäfte gehen können, mehr kulturelle Veranstaltungen als ich je besuchen könnte zur Auswahl haben und unter vielen Menschen sein. Ich genieße das nach wie vor, aber manchmal überkommt mich auch wieder ganz leise die Sehnsucht nach ein bisschen Natur und Stille.

Richtig explodiert ist diese Sehnsucht bei der Lektüre eines kleinen, unscheinbaren Buches. “Landleben, von einer die raus zog” wirkt optisch unscheinbar, es könnte ein Ratgeber für Aussteiger sein und vielleicht könnte man es wirklich so lesen. Ich habe es hingegen eher als Liebeserklärung an das Leben auf dem Land und mit Natur und Tieren gesehen.

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Hilal Sezgin erzählt davon, wie sie genug hatte von ihrem Leben in der Großstadt. Genug davon, mehr kulturelle Veranstaltungen angeboten zu bekommen, als sie je besuchen könnte. Sie sehnt sich nach Ruhe, nach einem möglichst abgelegenen Haus in einem beschaulichen Dorf. In ihrem Buch erzählt sie von der Suche nach so einem Sehnsuchtsort und davon wie es war, dort dann wirklich anzukommen.

Die Themen, die dabei gestreift werden, sind vielfältig und vermitteln doch ein stimmiges Gefühl. Es geht um die Gemeinschaft in so einem Dorf “ab vom Schuss”, von dem ja alle jungen Leute eigentlich nur weg wollen. Aber auch Massentierhaltung und Tierethik werden in einigen Kapiteln besprochen. Warum Hartkäse unökologischer ist als Weichkäse und vegane Gerichte gar nicht so schlecht schmecken, wie immer alle denken. Diese Themen werden dabei nicht mit der Moralkeule in die Leserköpfe eingeprügelt, sondern unaufgeregt, irgendwie gleichzeitig gefühlvoll und sachlich thematisiert. Es geht um das Bewusstsein für das “Was?” und “Wie?” unseres heutigen Konsums und darum, irgendwie bewusste Entscheidungen zu treffen.

Dieser Ansatz, verbunden mit der ruhigen, entspannenden Atmosphäre innerhalb der einzelnen Episoden aus Hilal Sezgins Landleben, hat mich total begeistert. Die Autorin erzählt unglaublich liebevoll über ihre Tiere, über fußkranke Schafe und angriffslustige Ganter. Ich selbst habe eine Schwäche für ältere oder irgendwie “lädierte” Tiere und konnte ihre Liebe zu jedem einzelnen tierischen Patienten so sehr nachfühlen. Es sind außerdem so menschliche, komische Geschichten darunter, dass sich wirklich jeder, der mit Tieren lebt, darin wiederfindet. In meiner Kindheit war es ein bissiges Pony statt kämpferischer Gänse, das Gefühl ist aber sehr ähnlich.

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Ich hätte mir dieses Buch nie selbst ausgesucht, zu fest meine Überzeugung, dass ich jetzt, in der Großstadt, glücklicher bin. Während der Lektüre habe ich es aber einfach genossen in diesem Buch, diesen Themen abzutauchen. Und was ist meine Begeisterung für unseren winzigen Stadtgarten (und mein verzweifelter Versuch dort etwas Essbares anzubauen) anderes, als so ein bisschen Landleben im Kleinen? Für mich war es ein Glücksfall dieses Buch geschenkt zu bekommen.

Die Fotos im Beitrag hat übrigens meine Mama genau an dem Wochenende geschossen, als ich mit “Landleben” auf dem Liegestuhl lag und vor mich hin träumte. Ich finde sie so wunderschön, dass ich sie euch zeigen wollte. Sie vermitteln genau das Gefühl, das auch dieses Buch heraufbeschwört. Ein bisschen Ruhe, viel Staunen über die Schönheit und Bedauern, dass man das gerade selbst nicht hat.

 

“Landleben. Von einer, die raus zog” von Hilal Sezgin, erschienen im Dumont Buchverlag, 270 Seiten, 9,99 € (Taschenbuch)

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