Rezension: Der Abgrund in dir von Dennis Lehane
Ich habe Dennis Lehane erst vor Kurzem mit einem seiner Krimis als Autor für mich entdeckt. Davor kannte ich nur die Verfilmungen seiner Romane „Shutter Island“ (großartig!) und „Mystic River“ (ja, solide). Da der Klappentext von „Der Abgrund in dir“ nun wieder einen solchen Blockbuster-Mystery-Roman erhoffen lies, habe ich das Buch sofort lesen wollen. Nein, müssen!
Jetzt, nach der Lektüre bin ich gelinde gesagt durchwirrt (das ist die Kombination aus durcheinander und verwirrt, wie wir in „Mary & Max“ gelernt haben).
Ich habe den Roman einerseits extrem genossen und in Rekordzeit verschlungen. Es hat nicht ganz einen kompletten Tag gedauert, um durch die Geschichte zu rasen. Wie im Wahn habe ich Seite um Seite wirklich nahezu inhaliert. Ich wollte und konnte nicht aufhören. Dennis Lehane schafft es mit seinen gerade nicht zu langen Kapiteln, geschickten Cliffhangern und spannenden Andeutungen immer wieder zum Weiterlesen zu motivieren.
Der Roman handelt von Rachel Childs, die ein auf den ersten Blick glückliches Leben führt. Trotzdem lautet der erste Satz des Romans
„An einem Dienstag im Mai, im Alter von sechsunddreißig Jahren, erschoss Rachel ihren Mann.“
Wahnsinn! Man möchte sofort wissen, was da los ist. So funktioniert das menschliche Gehirn einfach und meins macht da keine Ausnahme. Diesen Köder (und alle anderen, geschickt im Text verborgenen) habe ich bereitwillig geschluckt und mich begeistert in diesen Roman vertieft.
Auf der anderen Seite wurde ich dann aber immer genervter und genervter von der Geschichte. Ich bemühe mich darum, möglichst keine Spoiler unterzubringen, muss aber kurz auf die zwei Hauptprobleme eingehen.
Das erste Drittel des Romans beschäftigt sich mit Rachels Vergangenheit. Rachel kennt ihren Vater nicht, hat eine problematische Beziehung zu ihrer Mutter. Da ist es verständlich, dass sie sich auf die Suche nach ihrem Vater macht, ihn aufspüren möchte. Das ist (wirklich!) sehr, sehr spannend… und völlig, absolut, total unnütz. Sorry! Dieser Teil der Geschichte scheint wenig bis gar keine Verbindung zum Rest des Buches zu haben. Ich frage mich immer noch, ob da nicht die Manuskripte vermischt wurden?! Also natürlich gibt es einen feinen Faden, der diesen Teil an den Rest knüpft, aber der ist so dünn, dass er gleich zu reißen droht.
Jetzt magst du sagen: das ist ein wenig befremdlich, aber hinnehmbar. Die erwähnten Abschnitte sind insgesamt wirklich interessant und in sich logisch. Dann ist doch alles klar? Na gut. Da könnte ich mitgehen.
Aber: immer wenn ich dachte „Jetzt passiert ja hoffentlich nicht XY, das wäre zu abgedroschen!“ passierte XY. Es war abgedroschen und wurde immer weiter gesteigert. Ich möchte gar nicht behaupten, dass die Handlung komplett vorhersehbar ist, aber jedes Klischee und jede obskure Wendung, die du dir vorstellen kannst, kommt vor. Und im letzten Drittel des Buches springt ungefähr jede zweite Seite eine solche „überraschende Wendung“ hinter dem Busch hervor. So, dass ich am Ende einfach froh war, als es vorbei war. Wenigstens gibt es dann nicht noch mehr Überraschungen. Die üblichen Motive: psychische Erkrankungen, Misstrauen mit dem eigenen Empfinden, Beziehungskrisen und viel mehr, es wurde alles abgedeckt, was man in einem solchen Roman erwartet. Und für mich dadurch einfach zu viel.
Fazit: das Buch kannst du sehr gut lesen, aber bitte denk nicht zu viel dabei nach! Als Actionfilm zwischen Buchdeckeln und spannendes literarisches Popcornkino ist es gut, aber tiefgründige Mystery war es für meinen Geschmack leider wirklich nicht.
„Der Abgrund in dir“ von Dennis Lehane, übersetzt von Steffen Jacobs und Peter Torberg, erschienen im Diogenes Verlag, 528 Seiten, 25,00 € (Hardcover)
Danke für den Post! Es ging mir nämlich ganz genauso. Ich habe gar keine Rezension geschrieben, weil ich irgendwie diese Verwirrung nicht formulieren konnte! Bin froh, dassich nicht die Einzige bin, die es so empfunden habe, dacbte schkn ich hätte irgendwas „überlesen“;)
Liebe Grüsse
Isabel
Naja, ganz so ist es für mich nicht gewesen. Üblich war da nix – ich meine, die Panikattacken Rachels haben ja einen Grund – ihr Zeit auf Haiti und die Geschehnisse dort. Aber ich habe den Roman halt auch anders gelesen, nicht als Thriller, nicht als Krimi, nicht als ähnlich wie Shutter Island, sondern als das, was es für mich bei Lehane immer ist: Einge Geschichte, die nicht in ein Genre passt, die übergreifend ist. Und nicht zu viel dabei nachdenken? Hmm, naja, er hat halt eine Geschichte erzählt, so wie er sie erzählt, mit den Figuren als Fokus. Man darf halt bei Lehane nie mit Erwarrungen ran gehen. Ich fand ihn wieder einmal sehr gut. Schade, dass er Dich genervt hat …
durchwirrt – love it! Das Wort nehme ich in meinem Wortschatz auf! *-*
Und wie im Wahn gelesen? Da wollte ich fast schon aufhören, überhaupt deine weiteren Eindrücke zu lesen – voll angefixt!
Ich wollte weiterlesen, aber bei dem Wort Spoiler war ich dann raus, sorry! War mich nicht sicher wie viel du vorwegnehmen muss, um deine Kritik verständlich zu machen und dein Fazit klingt dann ja eher so … hmmm, ja jetzt weiß ich auch nicht :D
Muss ich wohl irgendwann doch selber lesen :D
Liebe Grüße!