Rezension: Darling Days von iO Tillet Wright


„Darling Days“ ist die Biografie von iO Tillet Wright, der in den 80er Jahren im New Yorker East Village aufwächst. Seine Eltern sind Künstler, wankelmütig, Alkohol und Drogen zugeneigt. Ein normaler Alltag nicht denkbar. In Bedingungen, die für ein Kind kaum angemessen scheinen, wächst iO auf. Ein Freigeist, trotzdem bemüht die exzentrischen Eltern irgendwie auszugleichen, vielleicht wirkt er sogar ein bisschen bodenständig im Vergleich mit ihnen. Jedenfalls ein Junge mit extrem normalen Wünschen und Sehnsüchten: satt sein, Ruhe, Freiheit.

Die Geschichten, die ein Mensch mit solch einer Kindheit zu erzählen hat, sind bewegend. Die Eltern und deren auch nicht konservativeren Freunde, bieten ein Umfeld, in dem es hoch her geht. Verlässlichkeit und Stabilität sucht iO vergeblich.

In vielen, mal kürzeren, mal längeren Anekdoten lernen wir iOs Welt kennen. Im Buch finden wir sogar Kinderbilder, Fotos der Eltern. Bilder, die mich durch die Zeit hinweg angeschaut haben. Der Blick des Jungen irgendwo zwischen fröhlich und verloren.

Das iO der Sohn von künstlerisch begabten Menschen ist, lässt sich nicht zuletzt am Stil seiner Erzählungen ablesen. Er beschreibt seine Welt detailliert, lässt den Leser durch seine Beobachtungen ganz nah an sich heran. Dazwischen immer wieder Sätze mit wunderschönen kleinen Wahrheiten.

„Es herrscht eine Stimmung, in der ein junges Leben anfangen könnte.“

Man könnte zusammenfassen, dass „Darling Days“ eine mitreißende Biografie einer ganz normal, unnormalen Kindheit und Jugend in einem Künstlerkollektiv in den 80er Jahren in New York ist. Es erinnerte mich in dieser Hinsicht ein wenig an das, was ich über „Just kids“ von Pattie Smith bisher gelesen habe.

Einen Aspekt ließe ich damit jedoch außer acht. Denn der Untertitel der Biografie lautet „Mein Leben zwischen den Geschlechtern“. Wobei ich persönlich finde, dass das etwas reißerischer formuliert ist, als es im Buch tatsächlich rüberkommt. Aber obwohl iO die Themen rund um seine Geschlechtsidentität sehr natürlich erzählt, spielen sie doch eine wichtige Rolle im Buch und sicher auch in seinem Leben.

Bei seiner Geburt wird iO nämlich zunächst das falsche Geschlecht zugewiesen, er wird als Mädchen gesehen und entsprechend erzogen. Seine unkonventionellen Eltern sind wohl der Grund dafür, dass diese Erziehung nicht nach den üblichen Stereotypen abläuft und iO so die Möglichkeit gibt, auch früh über seine Geschlechtsidentität zu sprechen. Er sagt seinem Vater schon mit sechs Jahren, dass er nicht mehr als Mädchen behandelt werden möchte. Ab sofort ist „Bud“ ein Junge. Fertig. Innerhalb seiner Familie gibt es dazu keine großen Diskussionen.

Außerhalb seiner Familie sind da schon deutlicher einige Konflikte zu erkennen. Trotzdem wirkt „Darling Days“ zum Glück überhaupt nicht wie eine literarische Therapiesitzung. Immer ist klar, dass iO eine ziemlich krasse Kindheit und Jugend erlebte, aber vieles davon seinem ungewöhnlichen Umfeld oder normaler pubertärer Entwicklung begründet liegt. Sein Geschlecht wird nicht zum Problem erklärt und das ist auch wirklich gut so.

„Darling Days“ ist ein Buch für alle, die in diese spannende und unkonventionelle Künstlerwelt abtauchen wollen, das 80er Flair genießen können und vielleicht ein bisschen durch das Schlüsselloch in ein fremdes Leben schauen möchten. Wir können davon einiges lernen.

„Darling Days“ von iO Tillet Wright, übersetzt von Clara Drechsler und Harald Hellmann, erschienen im Suhrkamp Verlag, 436 Seiten

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