Rezension: Die Hochhausspringerin von Julia von Lucadou


„Die
Hochhausspringerin“ ist Julia von Lucadous erster Roman, aber hoffentlich nicht
ihr letzter! Mit ihrer Hochglanzdystopie hat sie mich so überrascht, wie sonst
kein Buch im letzten Herbst.

„Die
Hochhausspringerin“ hat mich leise an Dave Eggers „Der Circle“ erinnert, ist
aber viel feiner konstruiert und nicht ganz so durchschaubar.

Dem
Leser wird viel mehr scheibchenweise eine Welt präsentiert, die unserer
ziemlich ähnlich ist, aber doch erschreckend anders. Eine Welt, in der jeder
Schritt ihrer Bewohner einem Ranking standhalten muss: hast du genug
geschlafen, genug meditiert, gesund genug gegessen? Wie ist dein Arbeitsscore?
In dieser Umgebung, in der jeder den Druck verspürt, ständig über sich hinaus
zu wachsen und noch effizienter, erholter, glücklicher zu sein, hat eine junge
Frau genug. Riva ist eine berühmte Sportlerin, eine Hochhausspringerin, die mit
ihren wagemutigen Sprüngen die Massen begeistert. Doch eines Tages verweigert
Riva jegliche Kooperation. Eine junge Psychologin wird beauftragt Riva wieder
auf die Spur zu bringen.

Doch
es ist nicht zu viel gesagt, wenn ich sage, dass der Rivas Zweifel und
Resignation bald um sich greifen.

Es
ist so großartig in „Die Hochhausspringerin“ einzutauchen. Zu Beginn des Buches
wird nicht lang und breit erklärt, in welchen Aspekten sich unsere Welt von der
Wirklichkeit dieser Geschichte unterscheidet. Man wird einfach ins kalte Wasser
des Textes geschmissen und entdeckt Stück für Stück kleine Gemeinsamkeiten und
Unterschiede. Dieser sanfte Übergang führte für mich dazu, dass ich die
Geschichte nicht ganz so leicht als bloße Dystopie abtun konnte. Die Parallelen
zu unserer Welt waren mir zu präsent.

Und genau das ist es, was an diesem Buch so herrlich ins Grübeln bringt und auch zu Gesprächen anregt. Wir alle (wir Bloggern vermutlich allen voran) leben jetzt schon in einer Gesellschaft, in der alles immer weiter optimiert wird. Es gibt Apps zum Meditieren, um das Schlafverhalten oder Trainings zu Tracken. Und ganz ehrlich? Ich habe sie alle schon benutzt.
Ich persönlich habe gemerkt, dass mich vieles davon ermüdet. Aus einigem, wie der geführten Meditation, kann ich einen Mehrwert ziehen. Aber insgesamt bin ich nicht bereit, mein Wohlbefinden optimieren zu lassen. Die Pulsuhr bleibt im Schrank. Training mache ich (oder auch nicht!) wie es mir mein Körper und mein Bauchgefühl sagt. Alles andere macht mich auf Dauer unzufrieden und ängstlich.

Das
ist jetzt vielleicht keine wahnsinnig neue Erkenntnis, aber Gedanken, die sich
mir aufdrängen, wenn ich über „Die Hochhauspringerin“ nachdenke. Deshalb ist es
für mich so eines dieser Bücher, die auch außerhalb des Textes noch eine Weile
nachwirken und immer wieder von mir empfohlen werden.

Auch deshalb, weil es mich stilistisch völlig überzeugt hat. Das Buch ist ungewöhnlich, in der besten Bedeutung des Wortes. Einmal weil es in einem sehr geschmeidigen und fast schon saloppen Ton verfasst ist. Dann auch weil es immer wieder Begriffe™ einführt, die obwohl sie nirgends erklärt werden, in ihrer vollständigen Bedeutung schnell klar werden. Für mich ist „Die Hochhausspringerin“ feinstes Lesefutter für SciFi Nerds, Liebhaber feiner Literatur, Fans kluger Dystopien und gelangweilte Instagramer.

+ There are no comments

Add yours