Rezension: Alles, was zu ihr gehört von Sara Sligar


Da ist es mal wieder, eines dieser Bücher, bei denen es mir so, so schwer fällt eine Rezension zu verfassen. Eigentlich könnte ich über “Alles, was zu ihr gehört” von Sara Sligar kurz gefasst sagen “Lest das Buch!”. Im Prinzip müsste das völlig ausreichen. Aber vielleicht sollte ich doch noch ein bisschen erklären warum?!

1) Die Geschichte ist spannend

Der Roman erzählt die Geschichte einer begnadeten Künstlerin und gescheiterten Mutter. Die berühmte Fotografin Miranda Brand kam unter ungewöhnlichen Umständen zu Tode, nun lässt ihr Sohn ihren Nachlass ordnen. In den Korrespondenzen, Tagebüchern und Quittungen zeigt sich ein völlig neues Bild dieser rätselhaften Frau. Doch die junge Archivarin, die die Unterlagen sichten soll, verliert sich allzu schnell selbst in der Geschichte der Fotografin und deren Familie.

Man nehme eine Menge Kunst, genauer gesagt Fotografie, einen Hauch Crime und garniere das Ganze mit einer guten Portion Feminismus bzw. #metoo. Was man dann erhält? “Alles, was zu ihr gehört”!
In jeder Seite des Romans lauern die Geheimnisse, die das Leben der – bereits verstorbenen – Hauptfigur umrankten. Jaja, Geheimnisse sind mein Schlüsselreiz, aber glaubt mir, hier sind sie so verführerisch, dass man das Buch einfach nicht weglegen kann.

Wie kam Miranda Brand wirklich zu Tode? Wieso zog sie sich vor ihrem Tod derart zurück? Was hat ihre Psyche so belastet, dass sie zeitweise in psychiatrische Betreuung begeben musste?

2) Es geht um Kunst

Es ist vermutlich kein Geheimnis, wenn ich sage, dass ich für Kunst, insbesondere Fotografie, einen Faible habe. In diesem Roman ist diese Thematik wunderbar integriert. Natürlich sind Miranda Brands Werke leider nur fiktiv, aber sie werden so detailliert und atmosphärisch beschrieben, dass ich sie förmlich vor meinem inneren Auge sehen konnte.

“Das Wort kopieren taucht immer wieder auf. Ich bekomme den Eindruck, dass wir gerade eine sehr interessante Diskussion darüber führen, was eine Idee eigentlich ist und wem sie gehört.”

Außerdem geht es um die künstlerische Schaffenskraft, besonders von Frauen, und woran sie zerbrechen kann. Es geht um eine Frau, deren wichtigste Energie im Leben die Fotografie ist und der diese Kraft immer wieder gestohlen wird. Spannend ist dabei auch, wie der künstlerische Wettstreit zwischen Miranda Brand und ihrem Ehemann beziehungsweise selbst ihrem männlichen Kunsthändler beschrieben wird. Es hat mich bewegt zu lesen, wie weibliche Kunst als Macht und Bedrohung verstanden wird.

Susan Sonntag soll gesagt haben “Fotografieren heißt, sich das fotografierte Objekt aneignen. Es heißt sich in eine bestimmte Beziehung zur Welt zu setzen, die wie Erkenntnis – und deshalb wie Macht – anmutet.”
Dieses Zitat (zu finden auch im Roman) beschreibt so gut, wofür die Künstlerin in diesem Buch steht. Wie sie verzweifelt versucht sich die Welt mittels ihrer Kunst anzueignen. Wie sie aber auch davon weggerissen und von Männern klein gehalten wird.

3) Der Stil fesselt

Ja, die Figuren sind sind eingängig und lassen viel Platz für eigene Projektionen, haben aber auch genug “Futter” um ihnen eine gewisse Tiefe zu geben.
Noch fesselnder wird der Roman aber durch seinen besonderen Aufbau und Stil. Im direkten Wechsel werden immer ein Abschnitt aus der Perspektive der jungen Archivarin und ein Fundstück aus Miranda Brands Nachlass nacheinander gestellt. So verfolgen wir die Entwicklung der Handlung mal eher künstlerisch abstrakt, mal zwar aus zweiter Hand, aber ganz nah und voll Emotionen.

4) Das Buch ist wunderbar modern

Zu sagen, dass der Roman von #metoo handelt ist zu knapp, um all die Facetten dessen zu beschreiben, was sich darin findet. Es geht um sexuelle Belästigung und zum Teil Vergewaltigung. Wie so oft passiert das Frauen nicht vom bösen Fremden, sondern in der nächsten Umgebung. Am Arbeitsplatz beziehungsweise in der Ehe, also an Orten, an denen man sich sicher bewegen können muss, werden Frauen gezwungen und missbraucht. Immer wieder sind diese Szenen schockierend und haben hier für viel Diskussionsstoff gesorgt.

Außerdem sind es manchmal einzelne Sätze, die diesen Roman angenehm modern in unserer Zeit platzieren. Bemerkungen über Ungerechtigkeiten gegenüber einer Schwarzen Frau oder die ganz nebenbei fallen gelassene Erwähnung, dass unter den Kolleg*innen auch nicht binäre Personen sind. Bäm! Das trägt oft nichts direkt zur Haupthandlung bei, aber zu einer normalen Präsenz von Themen, die sonst einfach verschwiegen werden. Mir persönlich hat dieser Ton sehr gut gefallen, weil er zeigt, dass Bücher auch neue Realitäten widerspiegeln können und marginalisierte Menschen/Themen einen Raum bekommen!

“Sie wurde einmal befördert, recht früh, seither tat sich nichts mehr, während weit weniger begabte, männliche, weiße Kollegen sie überholten”.

So unterm Strich? Lest das Buch!

“Alles, was zu ihr gehört” ist vielleicht keine große Literatur, aber ein bewegender Sommerschmöker, der sehr vieles sehr richtig macht und zum Nachdenken anregt. Ein Buch, dass Platz für Gefühle lässt, die sonst ungern thematisiert werden und vielleicht gerade deshalb angesprochen werden müssen.

Auch diesem Buch hätte eine Inhaltswarnung gut getan, um Menschen die Möglichkeit zu geben eventuelle Trigger zu meiden: es geht um Wahn, (postnatale) Depression, selbstverletzendes Verhalten, sexuellen Missbrauch und Suizid. Also keine ganz leichte Kost. All das ist aber sehr empathisch umgesetzt und wird nicht mit brutalen Details ausgeschmückt.

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„Alles, was zu ihr gehört“ von Sara Sligar, übersetzt von Ulrike Brauns, erschienen im Hanser Literaturverlag

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