Rezension: Robinsons Tochter von Jane Gardam


Polly Flint strandet im Haus ihrer ältlichen, unverheirateten und streng gläubigen Tanten tatsächlich ein bisschen wie Robinson Crusoe auf seiner Insel. Nachdem ihre Mutter gestorben ist, weiß ihr Vater, der als Kapitän in der Welt unterwegs ist, sich nicht anders zu helfen als das Kind dort abzugeben. Von einem auf dem anderen Tag landet sie in einem beschaulichen, aber auch streng geregelten und langweiligen Leben.

“Die Zeit verging im Gelben Haus. Eins nach dem anderen müssen die Jahre gekommen und gegangen sein, Sommer blitzten über die Marsch und Winter bedeckten sie mit Schnee.”

Bis auf den Wechsel der Jahreszeiten passiert nicht viel. Die Tanten sind fest in ihrem Rhythmus aus Gebeten und Gottesdiensten gefangen. Polly wird zu Hause unterrichtet und kennt kaum andere Kinder. Also klammert sie sich an die zahlreichen Bücher in der Bibliothek des Hauses. Neben den vielen religiösen Schriften findet sie dort auch Romane. Besonders einer hat es ihr angetan: “Robinson Crusoe” von Daniel Defoe wird ihr ständiger Begleiter.

Polly liest das Buch wieder und wieder, begeistert von Robinsons Stärke und Mut. Wie er es schafft in seinem beschwerlichen Leben sowohl die negativen als auch die positiven Dinge zu sehen, nimmt sie sich zum Vorbild. Aber im Laufe der Jahre erkennt Polly auch, dass Robinson Crusoe und sein gefangenes Leben eine Verbindung zu ihrer eigenen Situation hat. Die Frauen um 1900 waren ebenso wenig wie der Schiffbrüchige in der Lage aus ihrer Situation zu entkommen. Die Aufgabe einer Frau war es verheiratet zu sein, einen Haushalt zu führen und Kinder zu kriegen. Bildung oder eine selbstständige Entwicklung hatten einfach nicht den Stellenwert, den sie heute haben.

Das wird besonders deutlich, als eine der beiden Tanten dann doch noch heiratet und mit ihrem Mann das Gelbe Haus verlässt. Tante Mary, vorher als eigenständige, spannende Frau beschrieben, geht völlig darin auf die neue Ehefrau des Pfarrers zu sein. Ihr bisheriges Leben fällt völlig über Bord.

“Sie war nur bis zum Bersten voll von dem Gefühl, eine verheiratete Frau zu sein.”

Aber ist die Ehe wirklich das Einzige was man braucht, um als Frau vollständig zu sein? Diese Frage stellt sich auch Polly im Roman vermehrt. Sie selbst, mittlerweile eine erwachsene Frau, scheint kein großes Interesse an Männern zu haben. Und da, wo sie doch Interesse oder gar zarte Verliebtheit spürt, meint es das Schicksal nicht gut mit Polly. Immer wieder verpasst sie knapp das Glück. Polly fühlt sich außerdem ihren Tanten völlig verpflichtet, zieht deshalb auch nicht zum studieren in die Welt. Als die Tanten nach und nach sterben übergibt sich Polly ihrer Einsamkeit und dem Alkohol.

“Ich kann nicht sagen”, wie es bei Robinson heißt, “dass mir in den folgenden zwei Jahren irgendetwas Ungewöhnliches widerfahren wäre. Ich führte ein Leben in den gewohnten Bahnen, mit derselben inneren Haltung und am selben Ort.”

Vor allem in dieser Phase des Romans sind die Parallelen zu “Robinson Crusoe” schon fast zu stark überzeichnet. Die Verzweiflung der Protagonistin dominiert den Text völlig. Spät findet Polly dann aber doch noch Gesellschaft und ihre Geschichte scheint sich zum Guten zu wenden (aber auch ein Stück weit zu wiederholen).

Wobei es ja sowieso weniger die rasante Handlung ist, die diesen Roman ausmacht, sondern der angenehme Stil und die interessante Verflechtung mit “Robinson Crusoe”.

Neben den interessanten inhaltlichen Aspekten, ist nämlich vor allem die Stimmung im Roman eine ganz besondere. In der Geschichte wird sehr viel Tee getrunken, das Meer ist stürmisch und die Tage ruhig. Die perfekte Lektüre für graue, regnerische Herbsttage, an denen man sich in eine friedlichere, ruhigere Welt lesen möchte. Durch Pollys tragischen Lebensweg aber auch keine zu gemütliche Lektüre, sondern mit ausreichend Drama garniert.

Für mich persönlich kein Highlight aber eine spannende Umsetzung eines literarischen Projekts. Für alle, die gern klassische Romane lesen, Robinson Crusoe mögen und gerade ein bisschen Weltflucht nötig haben.

„Robinsons Tochter“ von Jane Gardam, übersetzt von Isabel Bogdan, erschienen im Hanser Literaturverlag, 317 Seiten

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