Eine geheime, große Liebe


Die Männer im Rampenlicht interessieren mich nicht so sehr. Die Frauen in ihrem Schatten sind es, deren Geschichte ich hören will. So war es am 20. Januar vor allem Jill Biden auf die ich neugierig wurde. Wusstest du, dass sie die erste First Lady sein will, die weiterhin einer Arbeit außerhalb des Weißen Hauses nachgehen wird? In diesem spannenden Twitter-Thread von Jasmin vom Herstory Podcast gibt es Informationen zu den First Ladys in der Geschichte der USA und den Dingen, die sie bewegten.

Da ist mir ein Buch eingefallen, welches hier schon einige Zeit darauf wartete, gelesen zu werden. Also habe ich es mir endlich mit “Meine Zeit mit Eleanor” von Amy Bloom gemütlich gemacht und wurde wirklich überrascht. Der Roman erzählt die wahre Geschichte von Eleanore Roosevelt und Lorena Hickock anhand fiktiver Erinnerungen von Lorena Hickock. Dabei gibt es zwar einige deutliche Abstriche, aber auch toll gelungene Aspekte.

“Wir glauben immer, wir würden alles in Erinnerung behalten, und am Ende erinnern wir uns an fast nichts.”

Viele der Inhalte sind nah an den tatsächlichen Geschehnissen erzählt. So gab Lorena Hickock (genannt “Hick”) ihre Arbeit als politische Berichterstatterin bei Associated Press auf, da sie dem Objekt ihrer Texte zu nah kam. Sie fürchtete die Objektivität zu verlieren oder ihre Integrität gegenüber Eleanor zu verletzen. Auch die beschriebenen Reisen von Hick und Eleanor hat es gegeben, das beweisen zahlreiche Bilder des Paares. Außerdem hat Lorena wie im Buch beschrieben mit im Weißen Haus gelebt und für die Administration gearbeitet.

Frustriert hat mich aber der Fokus, der für Hicks Vorgeschichte gewählt wurde. Im Roman sollen wir Lorenas Erinnerungen folgen. Und da gäbe es wirklich einiges zu erzählen. Sie hatte ein ebenso tragisches wie bewegtes Leben. Lorena Hickock arbeitete, nach dem frühen Tod ihrer Mutter, viele Jahre bei wechselnden Familien als Hausmädchen. Sie lebte zeitweise bei ihrer Cousine oder in einem Saloon. Dort lernte sie jeweils wichtige Lektionen fürs Leben. Später arbeitete sie sich zu einer der bedeutendsten Reporterinnen der USA hoch.

Statt diesen Etappen, wird eine längere Episode in einem Zirkus (beziehungsweise genauer gesagt einer “Freakshow”) im Roman beschrieben. Bei meiner Recherche zu den Figuren konnte ich dazu keine Informationen finden. Falls sie also überhaupt stattgefunden hat, so ist doch wirklich fraglich, ob diese Station ihres Lebens so bedeutsam gewesen ist. Lorena Hickson war eine einflussreiche Journalistin und Aktivistin, wird hier aber als “Freak” dargestellt. Gerade wenn man einen Roman aus ihrer Perspektive erzählt, ein trauriger Ansatz.

Ich hätte mir stattdessen gewünscht, dass die Autorin ihre berührende Geschichte weniger dramatisiert hätte. Die Darstellung der Schwierigkeiten einer Liebesbeziehung zwischen zwei Frauen zu dieser Zeit (noch dazu zur Frist Lady) und die damals aktuellen gesellschaftlichen Probleme bieten doch eigentlich genug echtes “Drama”. Eleanor und Hick durften sich nie als Liebespaar zeigen. Homosexuelle Beziehungen waren bis in die 1990er Jahre noch in der Hälfte der US Bundesstaaten verboten.

“Frauen mittleren Alters, die einander mochten: Schwestern, Cousinen, beste Freundinnen.”

Der Frust, den das verursachte und die Leidenschaft für Eleanore klingen im Roman an, hätten aber gern mehr Raum einnehmen dürfen. Die Geschichte der Beziehung dieser starken Figuren hat mich beeindruckt. Denn trotz ihrer so gegensätzlichen Leben, sind es ihre Geschichten, die Eleanor und Hick im Roman verbinden. Sie erzählen sich über ihre Verluste, ihre Trauer. Obwohl Hick weit weniger privilegiert aufwuchs als Eleanor, konnten sie sich doch in ihren Erlebnissen als Gleichgesinnte erkennen.

Überhaupt wird Eleanor Roosevelt in diesem Roman warmherzig und liebevoll porträtiert. Nicht als kühle Politikergattin, sondern als emotionale, leidenschaftliche Frau. Dieser ungewöhnliche Blick auf die First Lady hat mich wirklich begeistert. Sie wird als begehrende Liebhaberin, begnadete Schriftstellerin und gute Freundin gezeigt.

“Sie liebte es, ihre Gedanken in blauer Tinte auf weißem Papier vor sich zu sehen.”

Aus dieser Leidenschaft fürs Schreiben sind 3200 Briefe aus dem Briefwechsel von Lorena und Eleanor erhalten geblieben. Aber auch zahlreiche Bücher und eine eigene tägliche Kolumne (sie klingt ein bisschen wie ein Blog) hat Eleanor Roosevelt verfasst.

Eine wichtige Perspektive…

Die Bedeutung von Frauen im weißen Haus hat sich mit Eleanor Roosevelt drastisch verschoben. Zu ihrer ersten Pressekonferenz waren nur weibliche Reporterinnen zugelassen. Für sie eine Möglichkeit, die wenigen Frauen in den Zeitungsredaktionen zu unterstützen.

Und der Roman beschreibt auch sonst Ungesagtes und Ungezeigtes. Franklin Roosevelt erkrankte im Alter von 39 Jahren an Polio und saß fortan im Rollstuhl. In den Zeitungen damals durfte er so jedoch nicht gezeigt werden. Er wollte kein Zeichen von Krankheit und Schwäche mit sich und seinem mächtigen Amt in Verbindung gebracht wissen.
In “Meine Zeit mit Eleanor” sind es nun die Momente in denen Roosevelt im Rollstuhl einschläft oder von seinen Mitarbeitern aus dem Auto geholfen bekommt, die ihn doch mal verletzlich zeigen. Eine ungewohnte, hilfreiche Perspektive.

Die Zeit von Franklins Erkrankung verbrachte Eleanor übrigens nicht als treusorgende (und unsichtbare!) Frau an seinem Krankenbett. Vielmehr reiste sie durch Amerika, hielt Vorträge und engagierte sich in der Frauenrechtsbewegung. Schon nach den kurzen Episoden in diesem Roman, habe ich das dringende Bedürfnis diese ungewöhnliche Frau näher kennenzulernen. Ihre Beziehung zu Hick ist wohl eine ihrer spannendsten Facetten, aber sicherlich nicht die einzige.

…und eine Enttäuschung.

Enttäuscht hat mich die ständige Verwendung von Begriffen wie dem N-Wort und Herabwürdigungen behinderter Menschen als Krüppel. Das hat mir zeitweise den Spaß am Buch genommen. Man mag auf “historische Genauigkeit” pochen, aber ist das in der Form nötig? Bei den Abweichungen, die sonst in Kauf genommen wurden, wäre hier eine Abweichung doch sicher ebenso möglich gewesen.
Ich wünsche mir, dass wir die Verwendung dieser Begriffe nicht mehr als höchstes Gut der Authentizität loben, sondern kritisch betrachten. Vor allem wünsche ich mir, dass wir (wenn überhaupt) Betroffenen die Möglichkeit geben diese Begriffe für sich selbst wieder anzueignen. Das würde uns weiter bringen, als sie im Namen der “Authentizität” in eher fraglichem Kontext zu reproduzieren.

Gerade wenn man über Figuren schreibt, die für Gleichberechtigung und Empowerment stehen, hätte ein Fokus auf deren Werte das ganze doch besser abgerundet. Eleanor Roosevelt setzte sich für gleiche Bildungschancen, gleiche Bezahlung, gleiche politische Repräsentanz und Teilhabe von Frauen ein und unterstützte die Schwarze Bewegung. Auch wenn man über den Antisemitismus der Familie Roosevelt vielleicht kritisch sprechen könnte, ist es zweifelhaft ob diese Begriffe zur Thematik passen.

Übrigens: eine weitere Adaption der Geschichte von Eleanor Roosevelt und Lorena Hickock liegt mit “Undiscovered Country” von Kelly O’Connor McNees bislang leider nur im englischen Original vor. „Eleanor and Hick – The Love Affair that shaped a First Lady“ von Susan Quinn arbeitet das Thema außerdem biografisch auf.

Es bleibt also noch viel Material zu diesen spannenden Persönlichkeiten zu entdecken. Vielleicht ist “Meine Zeit mit Eleanor” für dich genau der richtige Einstieg ins Thema?

 

“Meine Zeit mit Eleanor” von Amy Bloom, übersetzt von Kathrin Razum, erschienen im Atlantik Verlag, 267 Seiten. Werbung: Wenn du mich unterstützen möchtest, kannst du das Buch bei genialokal, Hugendubel oder Bücher.de bestellen. Danke!

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