Kim Jiyoung hat genug


Neulich las ich in einer Facebook-Diskussion wir „jungen Frauen“ würden uns „mit dem modernen Feminismus nur in irgendeine Opferrolle hineinjammern“. Die aufgebrachte Dame kam zu dem Schluss, dass jetzt damit doch mal gut sein muss und wir alles nötige erreicht hätten. Jetzt käme es nur noch auf persönlichen Einsatz und Ehrgeiz an. Ahja. Da musste ich ein bisschen Schmunzeln, aber eigentlich hätte ich wohl eher widersprechen sollen.

Ich weiß schon, dass ich und Frauen meines Alters in einer im Hinblick auf die Weltgeschichte extrem privilegierten Situation leben. Noch nie waren die Chancen und Möglichkeiten für Frauen so groß wie heute. Aber dennoch ist es wichtig Probleme zu thematisieren. Der Feminismus ist nicht plötzlich „fertig“ und vorbei, nur weil wir jetzt das Wahlrecht haben und selbst ein Konto eröffnen dürfen (Danke dafür!). Ein Blick in Länder wie Polen zeigt, dass Gesetzgebung auch bestehende Rechte wieder beschneiden kann. Häufig zu Ungunsten von Frauen und Minderheiten. Wir sollten uns da vielleicht nicht zu sehr in Sicherheit wiegen.

Und manche Dinge mögen zwar auf dem Papier bereits gleichwertig/gleichberechtigt sein, die Realitäten sehen aber leider häufig noch anders aus. Da mag die wütende Facebook-Kommentatorin noch so oft sagen wir Frauen bräuchten „bloß mehr Biss“ um in die Vorstandsetagen zu kommen. Wäre es nicht auch sinnvoll mal darüber zu sprechen, dass von Menschen, die höhere Positionen anstreben, immer noch Verhalten erwartet wird, das üblicherweise “männlich” konnotiert ist?

Es müssen auch gar keine dramatischen Herabwürdigungen und Übergriffe sein. Manchmal reicht die Summe scheinbar alltäglicher Ungerechtigkeiten, um einen Menschen zum Verzweifeln zu bringen. Das thematisiert “Kim Jiyoung, geboren 1982” von Cho Nam-Joo eindrücklich. Im Roman geht es um Kim Jiyoung, Mutter eines kleinen Mädchens. Sie ist jung und gesund, hat ein süßes Baby und könnte doch eigentlich glücklicher nicht sein, stimmt’s? Von außen jedenfalls sieht ihr Leben perfekt aus.

“Ach, ich möchte auch mit dem Geld meines Mannes im Park herumsitzen und Kaffee trinken … Ein Schm-mama-rotzer, von Beruf Hausfrau – das ist das goldene Leben …”

Aber in Jiyoung brodelt es. Mitten in dieser eigentlich glücklichsten Zeit, explodiert sie förmlich. Sie beginnt plötzlich sich wie Besessen zu verhalten. Mal spricht sie mit der Stimme ihrer Mutter, ein anderes Mal wie die Exfreundin ihres Mannes. Und dem wird es schnell Angst und Bange. Denkt er zunächst noch, dass Jiyoung vielleicht Scherze mit ihm treibt, fragt er sich bald ob sie wohl verrückt geworden ist.

Dann erfahren wir, wie Jiyoungs Leben sich bis zu dieser Situation entwickelte. Wer da eine spektakuläre Geschichte erwartet, wird enttäuscht. Es sind vielmehr die erschreckend normalen Probleme, die Jiyoungs Krise auslösen. Die Banalität der Erlebnisse wirkt jedoch gar nicht enttäuschend, sondern machte mich rasend. Es ist die Summe vieler kleiner Momente, die Jiyoung so kaputt machten.

Um das zu veranschaulichen zeichnet Cho Nam-Joo quasi eine mustertypische koreanische Frauenbiografie. Jiyoung muss sich immer wieder den Gegebenheiten beugen. Im Kleinen macht sie Zugeständnisse, steckt zurück, passt sich den Gegebenheiten an… und landet mit jedem Schritt etwas weiter entfernt von dem Leben, das sie eigentlich leben wollte. Kein großes Leid und Drama, sondern ein Leben entlang der gesellschaftlichen Erwartungen.

Das beginnt schon in ihrer Kindheit. Als kleines Mädchen erlebt Jiyoung wie der Bruder ihr und ihrer Schwester immer vorgezogen wird. Wie die Jungs in der Schule ungerechte und unverständliche Privilegien erhalten. Was im Kleinen beginnt, setzt sich natürlich später auch im Berufsleben und in der Familienplanung fort.

Diese Etappen sind ganz sachlich und knapp erzählt. Auch fast wie in einem Sachbuch sind in “Kim Jiyoung, geboren 1982” immer wieder Fußnoten mit Quellen enthalten. Die Autorin führt Statistiken, passende Artikel und Literatur an, die die Fakten zu ihrer Erzählungen liefern. Dennoch wirkt die Geschichte nicht trocken. Außerdem ist Jiyoung trotzdem so nahbar, dass sich vermutlich jede Frau an der einen oder anderen Stelle mit ihr identifizieren kann.

In Südkorea hat das Buch eine wahre Feminismus-Welle ausgelöst. Ich glaube nicht, dass sich dieser Effekt auch bei uns wiederholen wird. Aber mir wird das Buch bei Diskussionen, wie mit der aufgebrachten Dame auf Facebook, nun immer noch im Kopf sein.

Als passende Begleitlektüre für “Kim Jiyoung, geboren 1982” möchte ich euch übrigens noch “No more Bullshit – das Handbuch gegen sexistische Stammtischweisheiten” ans Herz legen. Ein cool gestaltetes, spannend aufbereitetes Buch über all den Scheiß, den wir uns im Alltag anhören müssen. Denn klar, in einigen Aspekten steht es in Deutschland vielleicht schon besser mit der Gleichberechtigung der Geschlechter, aber auch wir müssen uns sexistischen Bullshit einfach nicht mehr bieten lassen.

 

„Kim Jiyoung, geboren 1982“ von Cho Nam-Joo, übersetzt von Ki-Hyang Lee, erschienen im Kiepenheuer & Witsch Verlag, 207 Seiten. Werbung: Wenn du mich unterstützen möchtest, kannst du das Buch (oder beliebige andere) über meine Partner genialokal, Hugendubel, Bücher.de kaufen. Folge dafür einfach den Links, Danke!

2 Comments

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  1. 1
    Der Büchernarr

    Hallo Alexandra,
    dafür, dass dieses Buch aus einem vollkommen anderes Kulturkreis stammt, war ich doch sehr überrascht, auf welcher Ebene Gemeinsamkeit zu sehen waren. Und auch als Mann sehe ich die Defizite in der Gleichstellung (genauso wie ich als Wessi die Differenzierung zwischen Ost und West nicht verstehe). Ich denke auch nicht, dass es etwas mit einer „Opferrolle“ zu tun hat …

    Viele Grüße
    Frank

  2. 2
    Konstantin

    Vielen Dank für deine Besprechung. Irgendwie hatte ich mir deine Besprechung als Lesezeichen notiert und erst jetzt gefunden, mittlerweile habe ich das Buch gelesen. Ich stimme dem, was du selbst schreibst, das Feminismus nicht “fertig” ist, das der Kampf noch immer Relevanz hat, das Deutschland möglicherweise (?) schon weit gekommen ist. Nachdem nun einige Monate vergangen sind, seit ich die letzte Seite des Buches zugeschlagen habe, muss ich sagen: Es war sicherlich keine Zeitverschwendung, ich habe mich auch nicht hindurch quälen müssen, das tue ich auch generell nicht (mehr), aber dennoch nichts was bei mir hängen blieb. Ganz im Gegensatz dazu, Bernadine Evaristo mit “Mädchen, Frau Etc.”, welches ich zwar später las, aber auch glaube, dass es sprachlich, inhaltlich, stilistisch einfach prägnanter ist. Vielleicht hast du es auch gelesen und magst dich zu meiner Einschätzung äußern?

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