Endlich Urlaub im Hollercamp


Als ich ein Kind war, sind Kinder wie ich in Kinderbüchern einfach nicht vorgekommen. Kinder in Büchern hießen Tom und Anna, waren kerngesund und natürlich weiß. Wenn eine Figur eine Behinderung hatte, dann war genau DAS die Funktion dieser Figur. Wir erinnern uns an Klara aus Heidi? Das arme Kind!

Ja, ich weiß, Klara und Heidi sind wesentlich älter. Aber bis in die 90er Jahre hatte sich in dieser Hinsicht nicht viel getan. Ein behindertes Kind konnte nicht einfach so Teil einer Gruppe von Freunden sein, auf dem Reiterhof Urlaub machen oder all die anderen schön-belanglosen Dinge tun, die 90er Jahre Kinderbuch-Kinder so taten. Weil ein behindertes Kind (falls es existiert… sie waren fast so selten wie Einhörner) meist nur traurig am Fenster sitzen oder als Beispiel dafür dienen konnte, wie schlimm Mobbing (oder eine Behinderung) ist.

Aber die Welt dreht sich endlich langsam weiter. Mittlerweile gibt es das, was ich früher so sehnlich vermisst habe: Kinderbücher mit Figuren, die die ganze Gesellschaft abbilden wollen. Dafür begeistere ich mich sehr, auch wenn ich nicht mehr ganz zur Zielgruppe gehöre und noch keine Kinder hier im Rattenbau habe.

Deshalb habe ich in den letzten Tagen einfach selbst die beiden neu erschienenen “Mission Hollercamp”-Bücher von Lena Hach gelesen und hatte meinen Spaß damit.

In Mission Hollercamp begleiten wir die Freunde Emily, Jakub und Leon bei ihrem Urlaub auf dem Campingplatz Hollercamp. Obwohl die Kinder jedes Jahr Urlaub auf dem immer gleichen Campingplatz machen, wird es ihnen dort nie langweilig. Die üblichen Hollercamp-Aktivitäten wie Schwimmen im Hollersee und das aufregende Lagerfeuer versprechen perfekte Ferien. Aber diesmal begegnen sie noch weit größeren Abenteuern. Im Teil 1 ist das titelgebend “Der unheimliche Fremde”, im Teil 2 “Das verlassene Boot” scheint sich ein Verbrechen auf dem Campingplatz zugetragen zu haben. Logisch, dass die Kinder herausfinden müssen, was da los ist.

Was das jetzt mit Behinderungen und einer vielfältigen Gesellschaft zu tun hat?

Achso, Jakub trägt Hörgeräte und Emilys Familie stammt aus England, wobei sie vermutlich einen indischen Migrationshintergrund haben. Aber ehrlich gesagt, das ist einfach gar nicht so relevant und nicht das Thema des Buches.
Es geht um Kinder, die auf einem idyllischen, schönen Campingplatz kleine Abenteuer erleben. That’s it! Sie müssen keine Token sein und übliche Klischees erfüllen, sondern werden beschrieben wie jede andere Figur auch. Schön ist, dass dafür auch Sensitivity Reader zum Einsatz gekommen sind.

Ein Kind mit einer Hörbehinderung habe ich bisher noch in keinem Kinderbuch entdeckt. Eines, das so alltäglich darin vorkommt, erst recht nicht. Die Normalität, die da transportiert wird, hat mir sehr gut gefallen. Natürlich habe ich selbst keine Hörbehinderung und kann auf dieses Thema auch nur als Außenstehende schauen. Aber der angeschlagene Ton und die Art und Weise eine Behinderung anzusprechen aber nicht ins Zentrum der Geschichte zu rücken, hat mich sehr gefreut.

Unabhängig davon hat mir das Buch einfach gefallen: eine leicht eingängige, aber auch für Erwachsene nicht langweilige Sprache, Humor, eine gewisse Spannung und detailreiche Erzählung.

Ich mochte es, wie im Text jede Menge Themen mit kleinen Anmerkungen und schönen Details eingewoben werden. Zum Beispiel das Thema Umweltschutz wird ganz subtil immer wieder aufgegriffen, weil eine der Figuren auf gar keinen Fall Lebensmittel verschwenden möchte.

Achso, apropos Anmerkungen. Die Geschichte wird aus Leons Perspektive erzählt, am Rand des Buches finden sich aber immer “handschriftliche” Anmerkungen von Emily. Sie kommentiert und korrigiert (oder bestätigt) seine Erzählungen. Das gibt der Geschichte noch mal eine separate Ebene und macht einfach Spaß.

Ehrlich gesagt hatte mich die Autorin aber bereits das erste Mal, als zu Beginn des ersten Teils Leons Mutter das Wohnmobil einparkt. Klar, einerseits ist es traurig, dass solche Kleinigkeiten noch auffallen. Aber andererseits sind es eben leider noch Besonderheiten, wenn gerade in so einer Urlaubs-Idylle nicht mehr die Art Familie dargestellt wird, die den langweiligsten Klischees entspricht.

Insgesamt hatte ich viel Spaß an diesem Buch und freue mich, es für Leser*innen ab etwa 10 Jahren empfehlen zu können.

 

“Mission Hollercamp: Der unsichtbare Fremde” und “Mission Hollercamp: Das verlassene Boot” von Lena Hach, erschienen im mixtvision Verlag. Werbung: Wenn du mich unterstützen möchtest, kannst du das Buch (oder beliebige andere) über meine Partner genialokal, Hugendubel, Bücher.de kaufen. Folge dafür einfach den Links, Danke!

1 comment

Add yours

+ Leave a Comment