Die Beichte einer Nacht


Zwei Frauen sitzen nachts im stillen Flur einer psychiatrischen Klinik zusammen. Die eine spricht kein einziges Wort, die andere erzählt im wahrsten Sinne des Wortes einen ganzen Roman.

In “Die Beichte einer Nacht” von Marianne Philips breitet eine Frau ihre komplette Lebensgeschichte aus. Am Tage verweigert die Patientin jegliche Gespräche mit den Ärzten. Aber ausgerechnet jetzt, in der Stille der Nacht, ist sie bereit sich zu öffnen.
Eine Pflegerin, die still strickend in der Nachtwache sitzt, wird einzige Zeugin der vertraulich geflüsterten Worte. Und natürlich wir, die Leser*innen, die in diesen direkten Anreden mit angesprochen werden.

“Lassen sie mich einfach reden. Im Grunde bin ich wohl doch ein bisschen verrückt.”

Die Form des Romans ist so ungewöhnlich wie gelungen. Ein einziger langer Monolog, das klingt eigentlich nicht so sexy. Es könnte das sein, was man bei Familienfeiern immer fürchtet. Wenn Tante Irmtraud wieder ansetzt ihre gesamte Lebensgeschichte zu erzählen, wird der Abend manchmal ganz schön lang.
Aber keine Angst, “Die Beichte einer Nacht” ist nicht so. Und im Gegensatz zu Tante Irmtrauds Erzählungen, die man schon 387 Mal gehört hat, entwickelt sich die Geschichte zum Teil doch unerwartet. Wir müssen uns im Tempo und Ablauf der Erzählung nur ganz auf diese eine Perspektive einlassen.

Dabei lesen wir keine lineare Geschichte, sondern werden immer wieder in kleinen Schlenkern und Andeutungen auf spätere Konflikte vorbereitet. Und da gibt es einige.

Die Patientin, Leene, spricht über ihr bewegtes Leben im Niederlande der 1920er Jahre. Über eine Kindheit als älteste Tochter einer kinderreichen aber sonst sehr armen Familie. Ihr Leben ist von Verzicht und Arbeit geprägt. Sie muss von Almosen leben, kann diese aber nur schwer annehmen.

Von Anfang an fühlt sich Leene sehr einsam. Weder in ihrer Kindheit noch später in der Jugend findet sie Anschluss. Auch als im Verlauf des Romans ihr zum Teil schillernder Aufstieg geschildert wird, bleibt sie eine ängstliche, einsame Person.

“Furchtbar war das – seltsam und furchtbar, dass ich nie ohne Angst glücklich sein konnte.”

Aber ihr gutes Aussehen öffnet ihr dennoch Stück für Stück Türen in immer höhere soziale Schichten. Wie dieser Werdegang sich auf ihre emotionale Entwicklung auswirkt, auch das kommt in Leenes Monolog zur Sprache.

Die Hauptfigur analysiert und seziert im Roman vollständig ihr Seelenleben, beschreibt komplexe psychische Prozesse. Das war 1930, als das Buch ursprünglich erschien, äußerst ungewöhnlich. Entsprechend zwiegespalten waren die damaligen Rezensionen.

Aus heutiger Sicht sind einige Abschnitte zwar nicht ganz unproblematisch (zum Beispiel wenn psychische Krankheit mit falschen Entscheidungen gleichgesetzt wird oder siehe Zitat bei einigen Begrifflichkeiten), aber das ist wohl der Zeit geschuldet. Toll ist, dass anhand dieser Biografie auch Themen wie weibliche Unabhängigkeit, Einsamkeit, die Sehnsucht nach Liebe und Armut bzw. Reichtum angesprochen werden.

Ich bin nicht ganz sicher ob unsere erzählende Stimme und Hauptfigur nun unheimlich offen oder doch bemüht ist, sich in vorteilhaftestem Licht zu zeigen. Zum Teil wechselte dieser Eindruck bei mir mit jeder Seite. Am Ende ist es wohl ein bisschen von beidem und wir können entscheiden, was wir ihr glauben wollen.

 

„Die Beichte einer Nacht“ von Marianne Philiphs, übersetzt von Eva Schweikart, erschienen im Diogenes Verlag, 276 Seiten. Werbung: Wenn du mich unterstützen möchtest, kannst du das Buch (oder beliebige andere) über meine Partner genialokal, Hugendubel, Bücher.de kaufen. Folge dafür einfach den Links, Danke!

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