Die Schönheit von Baltschik ist keine heitere


„Die Schönheit von Baltschik ist keine heitere“ von Antonia Bontscheva hat mich völlig überrascht. Hinter diesem seltsam sperrigen Titel verbergen sich eine ganz besondere sprachliche Schönheit, Humor und große Ernsthaftigkeit.

Der Roman spielt im kommunistischen Bulgarien und im Deutschland der Wendezeit. Er erzählt die dramatische, dramatisch lustige Geschichte einer jungen Frau, die sich selbst und ihre Rolle in der Familie sucht. Sie hat Bulgarien kurz vor der Wende verlassen und lebt nun mit ihrem Mann und ihrer kleinen Tochter in Bremen. Das furchtbar spießige Mietshaus wird regiert vom Takt der Laubbläser und gewischten Treppenhäuser. Ihre spießige Ehe wird regiert von ihrem Mann, der versucht die junge Frau nach seinen Wünschen zu „formen“.
Als ihr Vater stirbt und sie zur Beerdigung zurück nach Baltschik reist, beginnt es in der jungen Frau zu bröckeln. Möchte sie wieder zurück in diese lieblose Ehe? Welche Rolle wird von ihr als Frau erwartet?

Ich habe die vielen charakterstarken Frauenfiguren geliebt, die jeweils unterschiedliche Perspektiven und Erwartungen an die Rolle der Frau in der Gesellschaft repräsentieren. Etwa Großmutter Denka, die die Familie mit eiserner Hand zusammenhalten möchte, oder die Mutter der Protagonistin, die sich im kommunistischen Bulgarien bemühte „ihre Frau zu stehen“. Aber auch die herrische, manipulative Schwiegermutter oder die Großmutter ihres Mannes. Letztere droht regelmäßig mit Suizid, nur um dann von der Familie mit Bitten und Kakao besänftigt zu werden.

Eine Literarische Reise nach Bulgarien

„Die Schönheit von Baltschik ist keine heitere“ von Antonia Bontscheva hat mich zum ersten Mal Bulgarien literarisch bereisen lassen und mir damit ein ganz besonderes Vergnügen bereitet. Der Roman zeigt einen liebevollen Blick auf Bulgarien, seine Landschaft, Küche und Bevölkerung. Gleichzeitig gibt es einen kurzen Einblick in die bewegte Geschichte des Landes. Dieser geht allerdings nicht all zu sehr in die Tiefe. Da ist die Balance meiner Meinung nach gut gelungen: es geht tief genug, um die Zerrissenheit des Landes zu zeigen, bremst die Geschichte aber nicht unnötig.

Denn primär lesen wir eine Familiengeschichte, die auch unabhängig vom Setting funktionieren würde. Wir könnten sie überall treffen: die kontrollierenden Großmütter, angespannten Mutter-Tochter-Beziehungen und Töchter „auf der Suche nach sich selbst“ mit wenig Verständnis von der eigenen Familie.

Ein Beziehungsroman

Eigentlich bin ich kein großer Fan von Liebesromanen. Aber wie Antonia Bontscheva die Beziehungen ihrer Hauptfigur beschreibt, hat mich einfach gefangen. Die Konflikte mit dem Ehemann, die komplizierte Beziehung zu Freunden und ihre etwas hoffnungslose Affäre lesen sich wirklich spannend. Aber es gibt auch immer dieses humorvolle Augenzwinkern.

Nur für die Themen Abtreibung, Totgeburt und Geburt wäre vielleicht eine Inhaltswarnung gut gewesen. Denn Kinder beziehungsweise das Kinderkriegen ist ebenfalls immer wieder ein wichtiges Thema in der Geschichte. Aber dabei geht es eben nicht um die Mutterschaft als größte Erfüllung für Frauen, sondern um die Einschnitte, die das im Leben bedeuten kann.

Der (zugegeben) etwas sperrige Titel verrät in dieser Hinsicht auch eine weitere typische Eigenschaft des Romans. Denn neben Schönheit und Freude dürfen auch Zorn, Wut und Streit sein. So schön Baltschik ist, es ist eben nicht immer heiter.

Eine besondere Lektüre

Begeistert hat mich, wie die Handlung ganz natürlich zwischen den verschiedenen Zeitebenen wechselt. Wir bewegen uns von der Gegenwart der Wendezeit zu verschiedenen früheren Momenten in der Kindheit der Hauptfigur und noch früher. Das passiert aber nicht willkürlich oder im strengen Wechsel. Immer sind kleine Begebenheiten oder Gespräche die Auslöser für die nächste Rückblende.

So kann man eigentlich nichts anderes machen, als sich dem Lesefluss dieses wunderbaren Romans zu ergeben. Obwohl es um Traumata aus Krieg und Kommunismus, Todesfälle und ernste Konflikte geht, spürt man in jeder Seite die Liebe zur eigenen seltsamen Familie, zum Leben und zur Liebe. Ich habe den Roman einfach sehr genossen und wünsche ihm noch viele begeisterte Leser*innen.

 

P.S. Problematisch finde ich leider den Umgang mit Sinti und Roma im Buch. Sie werden äußerst negativ charakterisiert und immer wieder beleidigt. Auch wenn das in historischen Entwicklungen begründet liegt und die handelnden Figuren versuchen dies aufzulösen, bleibt ein komischer Nachgeschmack. Schließlich werden die Diskriminierungen erst reproduziert, ohne dass es der Handlung irgendwie weiterhilft.

„Die Schönheit von Baltschik ist keine heitere“ von Antonia Bontscheva, erschienen bei Frankfurter Verlagsanstalt, 416 Seiten. 

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