Ich wollt‘ ich wär‘ ein Huhn


Besonders besorgte, behütende Mütter werden „Glucke“ genannt, eitle Männer als „Gockel“ verrufen. Und doch gestehen wir Hühnern keine Persönlichkeiten zu. Von allen Nutztieren scheinen sie am wenigsten Individuum zu sein. Wir sehen sie als diffuse, gackernde Masse. Sie müssen Federn lassen für uns, werden aber möglichst vor den Augen der Gesellschaft verborgen. 

In „Happy Green Family“ versuchen zwei Frauen – beides Betriebsprüferinnen für Legebatterien – die Hühner wieder sichtbar zu machen. In ihrer täglichen Arbeit werden sie dafür bezahlt Listen abzuhaken und ihre Augen vor dem Leid der Tiere zu verschließen. Sie dürfen weder Verbesserungen vorschlagen noch Mängel beseitigen. Weil sie das nicht länger ertragen können, beschließen sie zu handeln. Sie wollen eine komplette riesige Farm leeren. 900.000 Hühner aus ihren Ställen befreien und an Tierschutzvereine, Gnadenhöfe oder Tierheime verteilen. Dieses logistisch absurd aufwändige Unterfangen muss aufwändig geplant werden.

Wozu das alles?

Damit wollen sie nicht etwa ein Zeichen setzen oder eine Revolution anzetteln. Sie möchten ganz pragmatisch irgendwo beginnen und wenigstens das Leben dieser 900.000 Hühner besser machen. Sie wissen, dass sie das System der Massentierhaltung weder aufhalten noch revolutionieren können. Aber sie glauben dass sie das Leid dieser Hühner beenden können. 

Ich selbst bin keine Veganerin, nicht mal konsequente Vegetarierin. Ich versuche zwar so wenig Fleisch und tierische Produkte wie möglich zu konsumieren, schaffe es aber oft genug nicht, alles zu ersetzen. Trotzdem verwundert mich immer wieder, dass viele Menschen so große Unterschiede zwischen Schweinen beziehungsweise Rindern auf der einen und Hühnern auf der anderen Seite machen. Die einen „wirken so intelligent und emotional“, bei Hühnern „ist ja alles nicht so schlimm“. Vielleicht bin ich voreingenommen, weil ich super gern Vögel beobachte, aber diese Logik kann ich nicht ganz packen. Ich schleppe mein schlechtes Gewissen einfach durchgehend mit mir herum. 

In „Happy Green Family“ werden uns Hühner nun sehr empathisch und direkt näher gebracht. Manchmal durch eher theoretische Überlegungen zu moderner Massentierhaltung und Betrachtung über Hühner im Wandel der Zeit. Manchmal durch Kapitel aus der Perspektive von „Bwauukk“ (das ist der Name eines Huhns, den es sich selbst gegeben hat, sein eigener Gackerlaut quasi), die ganz allein der Legebatterie entkommen ist und ein kleines Abenteuer erlebt. 

Trotzdem ist das kein Buch, welches Leser*innen zu veganer Ernährung erziehen möchte. Die Protagonist*innen des Romans sind zwar Veganer*innen, aber wahrlich keine besseren und moralisch perfekteren Menschen. Oft genug machen sie Fehler und verursachen (gewollt oder ungewollt) großes Chaos. Aber irgendwie wirkt diese Beschäftigung mit den ungesehenen, ausgebeuteten Nutztieren ja schon wie eine Erinnerung moralische Entscheidungen zu überdenken, die wir täglich treffen. 

Lohnt sich das?

Im Roman werden immer wieder alternative Leben und Handlungsverläufe in den Text einbezogen. Tagträumereien, die mal mehr, mal weniger Raum einnehmen. Das kann man stilistisch gar nicht so einfach einordnen, macht aber (nach ein bisschen Eingewöhnung) wirklich großen Spaß. Durch den allwissenden Erzähler schafft es die Autorin zudem Perspektiven unterschiedlichster Charaktere flüssig miteinander zu verbinden, zu kommentieren und mit einigen Abschweifungen zu verweben. Ein ungewöhnlicher, unterhaltsamer Roman mit ganz viel Idealismus, Drama und absurdem Humor. 

Es geht um die Zuversicht etwas ändern zu können, wenn man nur irgendwo damit anfängt. Wir können vielleicht nicht im Alleingang die Welt retten und vielleicht scheitern wir auch mal mit einem Vorhaben. Aber es kann dennoch etwas positives entstehen, wenn wir anfangen etwas zu verändern. Das ist doch eine schöne Botschaft alle Leser*innen.

 

„Happy Green Family“ von Deb Olin Unferth, übersetzt von Barbara Schaden, erschienen im Wagenbach Verlag, 282 Seiten. Werbung: Wenn du mich unterstützen möchtest, kannst du das Buch (oder beliebige andere) über meine Partner genialokal, Hugendubel, Bücher.de kaufen.

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