Wovon wir träumen


„Wovon wir träumen“ erinnerte mich ein wenig an „Wo auch immer ihr seid“ von Khue Pham. Natürlich ist der kulturelle Hintergrund grundverschieden: einmal steht eine vietnamesische Familie, einmal eine chinesische Familie im Fokus der Geschichte. Aber in beiden Büchern wird ein Todesfall beziehungsweise eine Beerdigung zum Anlass genommen, um sich der eigenen Familie zu nähern, und werden Einwanderungsgeschichten thematisiert, die sonst wenig Raum bekommen.

„Die deutschen Behörden nennen ihre große Reise Migration, und ihre Migration nennen sie meinen Hintergrund.“

Und in beiden Geschichten geht es eben darum, wie sich nach der Migration der einen, die Heimat der nächsten definiert. Ob der Pass, das Aussehen, die gleichen Berufe oder Erinnerungen Zugehörigkeit ausmacht? Alles davon oder nichts? Und kann man diese Zugehörigkeit selbst erfinden, gar erzwingen? Im Roman geraten Mutter und Tochter darüber in Streit, ob die Tochter eigentlich eine „richtige Chinesin“ sei. Obwohl sie einerseits alles tut, um sich von der Mutter abzunabeln, mit Haut und Haar „anders“ sein will, verunsichert sie diese Anschuldigung tief. Denn darin liegt die Frage, die sich unsere namenlose Hauptfigur auch selbst stellt: Wo gehöre ich hin?

So lesen wir von Müttern, Töchtern und Großmüttern. Davon wie Lebenswege um tausende Kilometer auseinanderliegen können und sie uns doch immer noch verbinden. Es geht um Identität und Familie und ums „bei sich ankommen“, wo auch immer das ist. 

Lin Hierse schafft in diesem Roman eine ganze Welt zu zeichnen, poetisch und klug, toll beobachtet und einfach „schön“ zu lesen (im besten Sinne!). Auch die titelgebenden Träume sind immer wieder mal Thema. In den Träumen, so heißt es im Roman, besuchen und offenbaren sich uns Menschen, die uns nahestehen. 

Ein Buch das man kaum zur Seite legen mag und das sich nach der Lektüre beinahe selbst wie ein Traum anfühlt, weil einige kleine Szenen und Dinge sich so einbrennen. 

„Das alles ist wahr, aber je mehr Zeit vergeht, desto stärker zweifle ich an den Details. Ich zweifle aber auch daran, dass es wirklich nötig ist, jede Geschichte exakt so zu erzählen, wie sie sich zugetragen hat.“

„Wovon wir träumen“ von Lin Hierse, erschienen im Piper Verlag, 240 Seiten. Werbung: Wenn du mich unterstützen möchtest, kannst du das Buch (oder beliebige andere) über meine Partner genialokal, Hugendubel, Bücher.de kaufen.

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