Meine guten Dinge des Tages


Es ist einer von diesen Ratschlägen, die man in fast jedem Psychologieratgeber liest: führe ein Dankbarkeitstagebuch! Schreib dir jeden Tag auf, was dich glücklich gemacht hat und zack, dann wird sich deine Sicht auf die Welt zum Positiven verändern. Man möchte nur wild mit den Augen rollen . Was soll mir das bringen? Ist das nicht schon toxische Positivität? 

Mein Buch der „guten Dinge des Tages“ 

Es scheint tatsächlich mittlerweile ziemlich klare Evidenz zu geben, dass das Bewusstmachen positiver Erlebnisse und Aspekte des Lebens das psychische Wohlbefinden verbessert. Natürlich nicht als Ersatz für eine Therapie oder medikamentöse Behandlung bei psychischen Krankheiten, sondern als unterstützende Maßnahme für den Alltag. 

Ich habe mir also vorgenommen jeden Tag mindestens drei Dinge aufzuschreiben, die mir gut getan haben. Von kleinsten Momenten bis zu großen Unternehmungen. Es ist ausdrücklich nicht wichtig, dass da jedes Mal das ganz große Glück passiert. Manchmal ist es auch einfach ein leckerer Tee oder die angenehme Abendsonne, die durchs Fenster scheint. All das schreibe ich in Stichpunkten oder Stichworten auf. Ich habe keine Zeit und Lust für ein ausführliches Tagebuch und möchte nicht riskieren, mich doch wieder auf Sorgen und Ängste zu fokussieren. 

Meine Vorurteile, bevor ich begonnen habe

Auf den ersten Blick schien es für mich ein bisschen naiv. In den schwersten Zeiten noch nach positiven Dingen und schönen Momenten suchen? Das klang, als würde man keine negativen Gefühle mehr zulassen und jeder Situation zwanghaft positiv begegnen wollen. Anstrengend und auch unehrlich, eben toxische Positivität. Schließlich weiß jeder, dass das Leben nicht immer perfekt ist und wir auch gar nicht so tun müssen, als wäre es das.

Wie soll das in richtig schlimmen Phasen eigentlich funktionieren? Bevor ich mit meinem Experiment begonnen habe, dachte ich, dass so ein Buch wohl deprimierend wird an all jenen Tagen, an denen sich das Leben eben gerade überhaupt nicht positiv anfühlt. Habe ich dann noch etwas zu schreiben? Möchte ich dann überhaupt etwas schreiben?!

Ganz pragmatisch bin ich außerdem davon ausgegangen, dass ich dieses Experiment vermutlich nach wenigen Tagen sowieso wieder vergessen würde. Ein weiterer guter Vorsatz, der nach kurzer Zeit in der Versenkung verschwindet. Schließlich ist es eine weitere Verpflichtung, die mir nichts bringt, oder?

Was 10 Monate „Gute Dinge des Tages“ mit mir gemacht haben

Ich habe am 01.12.2021 begonnen mein Notizbuch mit guten Tagen zu füllen. Mitten in einer Phase, in der es mir ziemlich schlecht ging. Ich war längere Zeit krank gewesen und dadurch körperlich und emotional am Ende. Aber an diesem Tag hatte ich das erste Mal seit längerem wieder „etwas Schönes vor“ und dachte, dass es leicht wäre damit zu starten. Immerhin an diesem Tag, so dachte ich, erlebe ich doch dann sicher etwas Gutes.

Doch was ich mir anfangs noch schwierig vorstellte, fiel mir schnell auch an normalen Tagen immer leichter. Bei den „positiven Dingen des Tages“ geht es ja gerade darum, zu erkennen, dass es auch in düsteren Zeiten kleine Momente, Menschen oder Dinge gibt, die weiterhin gut und wertvoll sind.

All das sehen zu lernen, es zu schaffen sowas auch in schwierigen Situationen wahrzunehmen, hat bei mir dafür gesorgt, dass meine Empfindungen viel facettenreicher geworden sind.
Ich stecke mittlerweile weniger schnell den Kopf in den Sand und ergebe mich einer schwierigen Phase seltener. Stattdessen bin ich teilweise schon überwältigt, wie unheimlich grausam, schmerzhaft und gleichzeitig hoffnungsvoll und schön das Leben sein kann. Ja, wirklich, alles zugleich. 

Weil in dunklen Momenten unerwartet Menschen an unserer Seite sind oder mit kleinen Gesten zeigen, dass sie unsere Situation wahrnehmen. Oder weil wir merken, dass bestimmte kleine Facetten unseres Alltags wie Anker wirken und auch in den stürmischsten Zeiten immer noch guttun. 

Mir hat dieses „Buch der guten Dinge“ auch noch mal deutlich vor Augen geführt, was mich glücklich macht. Dinge, die ich immer wieder aufschreibe, haben ja eine gewisse Bedeutung für mich. Dann sollten sie auch eine entsprechende Priorität bekommen. Ich habe beispielsweise gemerkt, dass ich offensichtlich ziemlich gern esse und neue Dinge ausprobiere. Gut kochen hat für mich jetzt also einen besonderen Stellenwert. Genauso wie regelmäßig Zeit mit meinen Freunden zu verbringen und kleine Erlebnisse im Alltagstrott unterzubringen, aber auch ein Mittagsschläfchen mit meiner Katze zu machen …

Fazit

Es macht das Leben nicht besser positive Dinge aufzuschreiben. Aber es hilft gegen einen zu negativen Fokus, schärft die Aufmerksamkeit und macht in manchen Situationen ein bisschen mehr Lust aufs Leben. Denn gerade zu Beginn war das Buch für mich auch tatsächlich häufig ein Anreiz zumindest zu versuchen etwas zu unternehmen, was mir gut tut. Nicht immer hat das geklappt, aber ich habe mehr positive Ereignisse geplant, statt nur mit dem Alltag und meinen To Do’s zu kämpfen. Das kann man nicht immer schaffen, klar, aber es hat bei mir immer wieder für kleine Lichtblicke gesorgt.

Außerdem entsteht so in ganz kleinen Schritten eine tolle Erinnerung. Denn auch wenn man nicht wirklich ein episches Tagebuch schreiben kann oder will, macht es einfach Spaß irgendwann in so einem Buch zu blättern. Wenn ich heute in meinem Notizbuch lese und die kurzen Eintragungen sehe, habe ich sofort wieder vor Augen was ich in der jeweiligen Zeit gefühlt und gemacht habe. Und dann bin ich tatsächlich ganz schön dankbar für all das, was trotz Angst, Schmerzen und Sorgen an diesem Leben einfach richtig gut ist.

 

 

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