Mein neues Selfie-bewusstsein
Ihr glaubt vermutlich gar nicht, wie froh ich bin, dass ich Bilder wie dieses mittlerweile posten kann, ohne mich von negativen Gedanken zerfressen zu lassen. Ich weiß ein Selfie klingt nicht unbedingt nach einem politischen oder aktivistischen Akt, aber das kann es auf seine Art durchaus sein.
Vor Kurzem habe ich mir alte Fotos angesehen, ich habe ein Bild von mir „vor 5 Jahren“ gesucht. Es gab in dem betreffenden Jahr genau drei Fotos von mir. Drei!
Damals habe ich zwar gerade schon angefangen mich auch mal online zu zeigen, aber das ist mir alles noch wesentlich schwerer gefallen als heute. Ich hatte noch große Probleme mit mir und meinem Körper. Davor gibt es Jahre, aus denen kein einziges Foto von mir existiert.
Seit einer Weile mache ich regelmäßig auf dem Weg ins Büro Spiegel-Selfies, schieße Selfies wenn mir ein Make-Up besonders gut gelungen ist oder ich auf dem Weg zum Sport gerade noch vorzeigbar (also nicht verschwitzt und zerzaust) bin. Kurz: ich fotografiere mich relativ häufig. Obwohl ich das wirklich nicht besonders gut kann. Ich gucke oft nicht richtig in die Kamera und manchmal fällt es mir auch schwer das Handy so zu halten, dass man auch mein Gesicht sieht. Ziemlich peinlich eigentlich. Trotzdem mach ich weiter. Warum?
Meine Selbstvergewisserung
Diese ganzen Selfies wirken vielleicht selbstverliebt, für mich sind sie aber eine Selbstvergewisserung. Wie vermutlich viele junge Frauen lebte ich mit meinem Körper lange in einer Beziehung mit dem Status „es ist kompliziert“. Es wäre gelogen zu sagen, dass ich jetzt komplett meinen Frieden mit meinem behinderten Körper gemacht habe. Aber ich kann ihn heute anders feiern.
Die Selfies helfen mir ein Bild von mir zu bekommen. Mich an meinen Anblick „zu gewöhnen“ und mir eine gewisse Selbstbestätigung zu holen. Das da bin ich. Gar nicht so übel eigentlich.
Seit ich das mache ducke ich mich bei Gruppenfotos nicht mehr hektisch aus dem Bild oder ergreife die Flucht wenn meine beste Freundin mich fotografieren will. Je nach Tagesform mag oder akzeptiere ich das was ich da sehe ganz anders, ja manchmal find ich’s sogar ziemlich hot.
Ich kann mittlerweile, wenn ich diese Bilder betrachte, darauf achten ob mir mein Outfit gefällt und meine Haare den Weg ins Büro überstanden haben. Es ist nicht mehr dieser fast zwanghafte innere Abgleich, wo mein Körper diesmal überall gegen gängige Schönheitsideale und ableistische Normen versagt hat. Ich kenne mich und meinen Körper jetzt besser.
Mein neues Selfie-bewusstsein
Und ich poste diese Selfies, die eigentlich ziemlich banal und nichtssagend sind, regelmäßig. Was dazu führt, dass sich auch andere (ihr!) daran gewöhnen, dass es nicht nur perfekte Influencerinnenkörper gibt, sondern auch Literaturbloggerinnenkörper im Rollstuhl.
Nicht an meinen schlechtesten Tagen, ich bin noch nicht bereit für so viel #realitätaufinstagram, aber regelmäßig. Eben als Zeichen, als kleines „mich gibt’s hier auch noch“. Weil es mir selbst massiv geholfen hat anderen behinderten Blogger*innen und Aktivist*innen zu folgen, behinderte Körper zu meinen Sehgewohnheiten hinzuzufügen.
Dass ich dieses Selbstbewusstsein gefunden habe, habe ich also tollen Frauen wie @rollifraeulein @melly_maeh @fraugehlhaar @ninialagrande @luisalaudace und noch vielen anderen zu verdanken. Vielleicht kann ich irgendwann für andere auch dieser Anstoß sein.
P.S. Wer mich unterstützen möchte, kann mir bei Ko-Fi gern einen Kaffee ausgeben.
Liebe Alexandra,
das ist ein tolles Statement. Es gibt immer Menschen, die es lieben, Selfies von sich zu machen, und die, die es nicht mögen. Auch ich bin kein Selfie-Fan, obwohl ich keine Einschränkungen habe. Daher danke ich dir dafür! Fürs Sichtbar-Machen und für deine Offenheit. Denn du hast vollkommen recht, durch das „Öfter-Sehen“ gewöhnt man sich an Umstände, die gern verheimlicht, übersehen oder verdrängt werden.
Diese Erfahrung habe ich bei den Themen Sternenkindern, Tod und Trauer ebenfalls gemacht. Ich rede und schreibe offen darüber und konnte schon vielen Menschen die „Angst“ nehmen. Oftmals erzeugen nämlich Dinge, die nicht der Norm entsprechen, Angst oder zumindest Respekt, sodass lieber die Augen verschlossen werden.
Mach weiter so!
Viele Grüße und ein wundervolles neues Jahr
Stefanie