Rezension: Schloss aus Glas von Jeannette Walls


In „Die andere Seite des Himmels“ hat Jeannette Walls zwei der zauberhaftesten Kinderfiguren geschaffen, die ich je in Büchern kennenlernen durfte. In “Schloss aus Glas” hingegen erzählt Jeannette Walls die ganz und gar nicht fiktive Geschichte ihrer eigenen Familie. Aber obwohl es sich um einen autobiografischen Roman handelt, wirkt die Geschichte schon fast wie ein modernes (und ganz schön düsteres) Märchen.

Jeannette Walls schreibt über ihre Kindheit, in der sie mit ihren Geschwistern und den Eltern nahezu ständig auf der Straße lebte. Sie reisten von Ort zu Ort, immer dann zur Abreise gezwungen, wenn die Realität die eigenen Träume und Ansprüche einholte. Dabei schaffen es weder die Mutter, eine verträumte Künstlerin, noch der Vater, ein schwerer Trinker, den Kindern Stabilität und Geborgenheit zu geben. Doch eigentlich ist es ein Schloss aus Glas, das der Vater seinen Kindern bauen möchte. Eine sichere Heimat, groß und strahlend schön.

Für mich war diese Geschichte ebenso spannend wie deprimierend zu lesen, das Leben welches Jeannette Wells beschreibt, ist so ganz anders als alles was ich kenne. Ihre Erzählungen schwanken dabei von abenteuerlichen Kindergeschichten hin zu Abschnitten über die Enttäuschungen und Kämpfe, die ihre Familie immer wieder durchlebte. Leider liegt die Betonung dabei auch ein bisschen auf “immer wieder”. Es gibt Szenen, die sich im Verlauf des Romans etliche Male zu widerholen scheinen. Der überstürzte Aufbruch, die beschwerliche Reise, der ständige Hunger und das Trinken des Vaters. Motive, die das Leben der Autorin wohl stark prägten und dadurch in diesem Buch so eine dominante Rolle einnehmen.
Leider gehen dabei die Beweggründe und Charakteristika der Figuren ein wenig verloren. Was genau machte den Vater zum Taugenichts und ewigen Trinker? Wieso entzog sich die Mutter immer wieder der Verantwortung für ihre Kinder? Auch ihre Geschwister und deren teils gegensätzliche Entwicklung wird nur grob beschrieben.

Stilistisch ist Jeannette Walls Sprache so wunderbar eingängig, bildhaft und atmosphärisch dicht, dass ich wohl alles von ihr lesen könnte. Ihre Texte strotzen von Umschreibungen die ebenso treffend wie schön sind, da wird mit Worten wie “lähmende Langsamkeit” sofort ein Bild gezeichnet, welches ich noch tagelang im Kopf habe.

Am meisten berührt hat mich, dass sich die Autorin trotz der Härte in dieser Geschichte als glückliches Kind beschreibt. Als eine Tochter, deren Vater ihr die Sterne vom Himmel holen und ein Schloss bauen möchte. Liebe hängt nicht von materiellen Dingen ab und auch nicht von purer Harmonie. Es sind die guten Momente im Leben einer Familie, so rar sie auch manchmal sein mögen, die zusammenschweißen und über vieles hinwegtrösten können.

Im Vergleich zu den anderen Romanen der Autorin war “Schloss aus Glas” für mich nicht ganz so schlüssig aufgebaut und es fehlte ein wenig der erzählerische Spannungsbogen. Trotzdem ist es ein Roman mit einer kostbaren, rührenden Botschaft und eingängigen Bildern.


“Schloss aus Glas” von Jeannette Walls, übersetzt von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann, erschienen im Diana Verlag, Seiten, 9,99 € (Taschenbuch)

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