Rezension: Der Historiker von Elizabeth Kostova


Endlich ein Vampirroman ohne Glitzer und Kitsch! Noch besser: ein Roman mit viel Atmosphäre, Geheimnissen und Historie. In Elizabeth Kostovas “Der Historiker” folgt ein junges Mädchen den Spuren ihres verschwundenen Vaters. Der Vater betrieb seinerzeit, angestachelt durch ein mysteriöses Buch, Recherchen über Vlad den Pfähler, besser bekannt als Dracula. Ihre Nachforschungen sollen nun die Geheimnisse um den Vater, das Schicksal der Mutter und die Rätsel um Vlad Ţepeş lüften.

Auf Draculas Spuren reisen wir dafür mit der namenlosen Ich-Erzählerin beziehungsweise ihrem Vater über 800 Seiten lang kreuz und quer durch Europa, von England über die Türkei bis hinein nach Bulgarien. Das Buch ist dabei eine spannende Mischung aus wunderbarer, atmosphärischer Reisebeschreibung, Mythensammlung und Erzählung historischer Entwicklungen im mittelalterlichen Osteuropa.
Diese Bandbreite wird erzählerisch durch eine Menge wechselnder Perspektiven abgedeckt. Die Reisebeschreibung der Tochter des Historikers, ein Konvolut alter Briefe, die Tagebuchaufzeichnungen des Vaters und viele andere Quellen bilden hier eine stimmige Komposition. Denn obwohl es manchmal anfangs schwierig ist sich in einem neuen Erzählstrang zurecht zu finden, so sind sie doch perfekt aufeinander abgestimmt. Sie gehen schlüssig ineinander über und sind jeweils für sich stimmig und mitreißend verfasst. Auch sprachlich verströmt die Geschichte genau die richtige Getragenheit.

Entgegen dem aktuellen Trend wird in diesem Buch die Vampirgeschichte nicht als seichte Liebesgeschichte erzählt, sondern ist historisch fundiert und literarisch. Der Vampir steht hier für die Ängste, aber auch Hoffnungen der Menschen. Er steht für den Wunsch nach ewigem Leben, für die Angst vor böswilligen Wiedergängern. Vampire glitzern nicht.

Für mich ist “Der Historiker” aber neben einer spannenden Aufarbeitung düsterer Mythen und Legenden vor allem ein Buch über das Lernen. Jede neue Station der Reise öffnet uns die Augen für neue Aspekte der Geschichte, thematisiert Wissensdurst und Wissenschaft auf immer neue Weise. Allein die Tatsache, dass viele Ver- und Entwicklungen des Romans nur durch die Neugier der Protagonisten entsteht, hat mich tief überzeugt. Es entsteht ein Sog, eine Wissbegier, die den Roman so unwiderstehlich macht.

Obwohl es kurz vor Ende einige kleinere Längen gibt und der Wechsel der Erzählebenen vielleicht wirklich manchmal verwirren kann, hat mich “Der Historiker” völlig überzeugt. Die perfekte Lektüre für stürmische Abende und dunkle Nächte, nehmt euch zur Sicherheit doch lieber ein Stück Knoblauch mit… 5 von 5 Leseratten!

Die Rezension in einem Tweet:

“Der Historiker” von Elizabeth Kostova, übersetzt von Werner Löcher- Lawrence, erschienen im Berlin Verlag, 825 Seiten, 14,95 € (Taschenbuch)

Danke an den Kaffeehaussitzer, der mich mit dieser tollen Rezension zum Kauf anstachelte.

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