Rezension: Gänsehaut von Ross Macdonald
Ich warne euch: wenn man einmal mit den Krimis von Ross Macdonald beginnt, kann man leicht in eine echte Sucht abrutschen. Zumindest mir geht es so. Ich startete vor einer Weile mit “Schwarzgeld” und bin diesem Autor seitdem verfallen. Seine Bücher, ursprünglich erschienen in den 60er Jahren, strahlen eine ganz besondere Atmosphäre aus. Alles ist schick und edel, die Menschen reich und schön. Trotzdem verbergen sich hinter der feinen Fassade immer wieder menschliche Dramen, so auch in “Gänsehaut”.
Privatdetektiv Lew Archer wird diesmal zu einem recht ungewöhnlichen Fall gerufen: eine junge Braut verschwindet am Tag nach ihrer Hochzeit plötzlich aus dem Hotel in dem sie mit ihrem Gatten die Flitterwochen verbringen möchte. Der verlassene (und verzweifelte) Ehemann betraut Archer mit der Suche nach seiner Frau. Diese ist zwar schnell aufgespürt, weigert sich jedoch zurückzukehren. Warum? Dem geht Archer natürlich auf den Grund und enthüllt dabei einige düstere Familiengeheimnisse.
In dieser Geschichte führt Archers Ermittlungsarbeit weniger von Person zu Person, sondern vielmehr in die Vergangenheit der jungen Braut. Eine spannende Geschichte entwirrt sich vor dem Leser, die unerwartet auch wieder richtig kriminell wird. Das “Entwirren” ist dabei aber leider ein bisschen anstrengender als in meinem ersten Krimi von Macdonald. In dieser Geschichte hat mich die schiere Anzahl und verwirrende Verbindung der einzelnen Figuren schon manchmal ganz schön ins Grübeln gebracht. Zum Glück wird die Beharrlichkeit am Ende mit einem tollen Finale und einer schlüssigen, interessanten Auflösung des Falles belohnt.
Was sich schon im ersten Roman andeutete, hat sich diesmal endgültig bestätigt: Macdonald ist nicht nur ein guter Erzähler, sondern auch ein großer Autor. Sein Stil ist voll geschmeidiger und spannender Metaphern. Er zeichnet von den kleinsten Emotionen die größten und beeindruckendsten Bilder.
“Sie stand vor ihm, fast so groß wie er mit ihren Absätzen, fast so breit wie er in ihrem Mantel, fast so stur wie er in ihrem Stolz.”
Immer wieder stolpere ich so über Beschreibungen, die so schön sind, dass man sie sich fast einrahmen möchte. Schon allein sprachlich sind diese Kriminalromane daher herausragend und ein echter Genuss.
Und auch Lew Archer als Protagonist der Geschichten wird mir von Seite zu Seite sympathischer: er ist integer, klug und locker humorvoll ohne die Haltung zu verlieren. Ein Ermittler, dem ich literarisch einfach gern folgen möchte.
Insgesamt ist “Gänsehaut” nicht ganz so perfekt wie “Schwarzgeld” zuvor, aber für Wiederholungstäter dringend zu empfehlen, 4 von 5 Leseratten. Bei mir liegen nun auch schon die nächsten Krimis von Macdonald bereit, so dass ich schnell wieder in diese einmalige Stimmung abtauchen kann.
“Gänsehaut” von Ross Macdonald, übersetzt von Karsten Singelmann, erschienen im Diogenes Verlag, 417 Seiten, 14,90 € (Paperback)
[…] für Ross Macdonald hege (hier geht’s zur Rezension von “Schwarzgeld” und hier zu “Gänsehaut”). Auch “Der Untergrundmann” habe ich sehr gern […]